Das Geheimnis des Stimmungsbogens

Die 33. Ausgabe der Bad Bonn Kilbi verspricht verrückte Ausbrüche, touchierende Momente und spannende Experimente. Dahinter steckt viel Überlegung und Gefühl.

Die 33. Bad Bonn Kilbi findet vom 1. bis zum 3. Juni in Düdingen statt. © Yannik Waeber

Die Phrase „Achtung Musik!“ würde als Slogan auf einer Kilbi-Affiche wohl schon ausreichen. Nach 33-jähriger Vertrauensarbeit käme das Publikum wahrscheinlich auch ohne vorherige Programmbekanntgabe nach Düdingen an die Kilbi. „Ohne gute Musik, die begeistert und intensive Momente schafft, würde es nicht funktionieren“, meint Programmator Daniel Duex Fontana. „Wir müssen das Publikum aber immer wieder von unserer Sache überzeugen“.

Feinfühlige Verknüpfungen

Die Kilbi-Acts werden jeweils über Monate hinweg zusammengetragen. Das Programm ist ein Mix aus eigenen Entdeckungen, Tipps von Leuten, denen man vertraut und gerne auch Projekten, die auf einer der drei Kilbi-Bühnen erstmals überhaupt live vor Publikum ausprobiert werden. Und das schon lange. 33 Jahre Musik zwischen viel zu nah und viel zu fern, unwahrscheinlich touchierenden Momenten, wild ausgeschmückten Anekdoten, Melomanie und einer niemals zu versiegenden, fast spitzbübischen Frische. Das Abenteuer Musik scheint auch im Bonn unendlich. „Wir sind immer noch voll engagiert und haben Lust neue Musik zu erleben, egal ob mit jungen Queers und altem Publikum oder mit jungem Publikum und alten Queers, alle sind willkommen“, meint Daniel Duex Fontana, der seit 1991 für das Programm von Festival und Club verantwortlich ist.

Seit letztem Jahr steht ihm punkto Programmation Maisch Gosteli zur Seite. Vorher vor allem für das Booking des ISC Club Bern verantwortlich, fokussiert er sich zunehmend auf das Bad Bonn. „Das Programm und die Stimmung hier hat mir immer gefallen,“ so Gosteli. Solo oder im Duo zu programmieren, kann je nach Konstellation herausfordernd sein. Wie läuft’s also im Doppel Duex/Maisch? „Das Programm für die diesjährige Kilbi haben wir zusammen erstellt. Das war eine super Erfahrung. Es ist ein guter Filter, wenn einem Gegenüber ein Act präsentiert werden muss. So zeigt sich schnell, ob man wirklich davon überzeugt ist“, erläutert Gosteli. Ob im diesjährigen Kilbi-Programm seine Duftmarke riechbar ist, lässt Gosteli schmunzelnd offen. „Wichtig für die Kilbi ist wie immer, dass eigene Entdeckungen, gute Tipps und das Bauchgefühl wichtiger sind, als nur auf Angebote von Agenturen zurückzugreifen, die hier ihre Acts unterbringen wollen“.

Das Abenteuer Musik

Die 33. Ausgabe der Bad Bonn Kilbi klingt wieder enorm divers, von verrückten Ausbrüchen, über touchierende Momente, bis hin zu spannenden Experimenten. Stichwort Zeitplan. „Zum Auftakt veranstalten wir quasi einen Dayrave mit MinReCuliao und Marara Kelly,“ so Daniel Fontana. Ohren- und Porenöffnung zur Lancierung der diesjährigen Kilbi. Ob die Kur aus Techno, Breaks, Gabber, Rauch, Schweiss und Baile Funk die Rezeptoren für die Kilbi-Tagesplanung aktiviert, zeigt sich gleich anschliessend beim Konzert der crèmigen Jazz-Combo Surprise Chef aus Australien. Eine Kombination an Acts, die es an vielen anderen Festivals zwischen Alternative und Nische nur selten zu finden gibt. „Schlussendlich geht es um das Bauchgefühl. Was gerade in einer gewissen Szene angesagt ist, kann aber muss nicht ins Programm passen. Es muss in sich stimmig sein“, meint Maisch Gosteli.

Fontana und Gosteli investieren erneut viel Energie in die Findung der passenden Auftrittsmomente der jeweiligen Acts, wobei Bekannteres auch am Nachmittag oder Frühabend auftreten kann, anstatt das Tagesprogramm entlang des Bekanntheitsgrads der Acts hin zum vermeintlichen Headliner am Schluss des Abends zu strukturieren. „Mit der richtigen Platzierung der Acts im Programm lassen sich beim Publikum unterschiedliche Feuer entfachen“, so Fontana. So folgt auf die oben erwähnte Kilbi-Ouvertüre noisig-verstrahlter Rock von Disco Doom, bisschen theatrale Punk-Perfo von Muovipussi, die an übrigens an allen Tagen irgendwo zwischen Bühne, Blätz und Beach auftreten, bis Noria Lilt zum Rave ruft. 

Am Freitag gibt's freaky elektronisch-punkige Explosionen à la Lust$ickPuppy, saiten-lastige Schwelbrände wie CLAMM oder Moin, flackernd-emotionalen Rap von 070 Shake, bis hin zu in der Stille lodernder Musik von Acts wie Sessa. Ah, und natürlich immer wieder tolles Tanzen, entweder kosmisch-jazzig entrückt zu The Comet Is Coming  oder pflotschnass mit DJ Travella. Die Kilbi ist, wie gesagt, auch immer ein Sandkasten für Neues. Beispiel dafür ist am zweiten Abend das Projekt fulminae von und mit Rebecca Solari, das während der vierwöchigen Residenz des FC BB vergangenen September entstanden ist. „Das ist ein Act auf Vertrauen. Ich verspreche mir relativ viel von diesem Konzert. Das könnte die Leute richtig echt berühren“, meint Fontana. Zudem bildet Solari zusammen mit der Rapperin Nathalie Froehlich die Familia Expansivaaa für den Gig von Baby Volcano. Das gegenwärtige Trio Infernale, wenn es um Performances par excellence geht. Das wird was!

Der Samstag zwirbelt mit Musik von Manuel Troller, Marina Herlop oder Ocen James & Rian Treanor die Zirbeldrüse neu. DEBONAIR lädt noch zur wohlkuratierten Session im Äther, mit Σtella wird's zeitlos heimelig und die crazy Performance von EGG IDIOT erübrigt die Frage, ob es in den Weizen geschneit hat. Dann zeuseln noch Gnod und Donna Candy bis die Holzschnitzel qualmen, bevor dann alle mit allem im Tigel der Deli Girls verschmelzen. Es ist eine wunderlich-wunderbare Mischung an szenenübergreifenden Musikwelten, die in der hiesigen Festivallandschaft selten zu finden ist. Funktioniert hier auch noch der erwähnte Stimmungsbogen mit dem Publikum, wird’s magisch.

Vertrauen auf den Enthusiasmus

Seit gut zehn Ausgaben ist die Bad Bonn Kilbi jeweils restlos ausverkauft und auch für Nummer 33 sind alle Tickets weg. Der Erfolg des Festivals ist zentral für den Jahresbetrieb des Clubs. „An der Kilbi erwirtschaften wir rund 50% des Jahresbudgets“, erklärt Patrick Boschung, der seit mehr als 25 Jahren über die administrative und finanzielle Struktur des Bad Bonn wacht. Das Budget beläuft sich in diesem Jahr auf über 900'000 Franken, was einem Plus von rund 50'000 Franken gegenüber der letzten Ausgabe entspricht. „Wie überall, wird auch hier jedes Stück Holz und jedes technische Gerät teurer“, so Boschung. Angesprochen auf den Publikumsschwund, der sich seit einigen Jahren in der Kulturbranche bemerkbar macht, verweist Boschung auf die Strahlkraft grosser Veranstaltungen. „Es war sicher schon einfacher, Publikum in den Club zu bringen, aber die Leute sind wie immer enorm hungrig auf die Kilbi“.

So versammeln sich am ersten Juniwochenende rund 3'500 Personen auf dem Kilbigelände, aufgeteilt in Publikum, Helfende, Acts und Gäste. Terrainvergrösserung ist wie üblich kein Thema im Bonn. „Wir fokussieren uns lieber darauf, immer ein wenig besser zu werden, gute Musik zu zeigen und immer mehr am Zwischenmenschlichen und am Wohlbefinden aller zu arbeiten, die sich hier versammeln,“ so Fontana. Ein Wunsch nach Geselligkeit in der Entgrenzung, bis sich alles irgendwie in dieser Komposition aus Musiken und Emotionen in einem über 33 Jahre hinweg peu à peu geformten Kontext verbindet. „Musik steht im Zentrum, aber wichtig ist auch der Ort, das Publikum, das Team, die grosse Geschichte,“ erklärt Fontana. „Wir glauben daran.“

Das komplette Programm:

Donnerstag, 1. Juni

Alto Fuero
Amnesia Scanner
Disco Doom
fulmine
Jockstrap
Lazza Gio
Marara Kelly
Michelle Gurevich
MinReCuliao
Muovipussi
Musique Infinie
Noria Lilt
Soul Glo
Surprise Chef
The Chats
Veronica Vasicka

Freitag, 2. Juni

070 Shake
Ambassade
BABY VOLCANO + FAMILIA EXPANSIVAAA
Blackhaine
Chupame El Dedo
CLAMM
Courtesy
DEBONAIR
DJ Marcelle
DJ Travella
LustSickPuppy
M(h)aol
Milla Pluton
Moin
Muovipussi
Neuerdings
Sessa
Sudden Infant
Taimashoe
The Comet Is Coming

Samstag 3. Juni

Citron Citron
DEBONAIR
Deli Girls
DJ Fett
Donna Candy
EGG IDIOT
Gnod
HAAi
Jana Rush
Kalabrese
Lael Neale
Manuel Troller
Marina Herlop
Mark Ernestus’ Ndagga Rhythm Force
Muovipussi
NOI NOI
Ocen James & Rian Treanor
Stefanie Stauffacher
Σtella

RadioFr. - Valentin Brügger
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