Europarat will Kindesmissbrauch aufarbeiten

Der Europarat will Kindesmissbrauch nach Schweizer Vorbild aufarbeiten. Dafür stimmte am Freitag die Parlamentarische Versammlung.

Das Leid der Überlebenden von Kindesmissbrauch soll europaweit offiziell anerkannt werden. Das will der Europarat für seine 46 Mitgliedsstaaten - und zwar nach Schweizer Vorbild. (Symbolbild) © KEYSTONE/DPA-Zentralbild/Z1022/_PATRICK PLEUL

Die Empfehlungen gehen auf eine Motion des jurassischen SP-Nationalrats Pierre-Alain Fridez aus dem Jahr 2021 zurück. Demnach soll das Leid der Überlebenden von Kindesmissbrauch in den Mitgliedsstaaten offiziell anerkannt werden, die Betroffenen sollen - unabhängig von einer möglichen Verjährung - eine Wiedergutmachungszahlung erhalten, und eine wissenschaftliche Aufarbeitung soll in jedem einzelnen Land stattfinden.

Einstimmig hiess der Europarat am Freitag einen Bericht und eine Reihe von Empfehlungen gut.

Dabei geht es etwa um Missbräuche in privaten, staatlichen und kirchlichen Heimen, um Misshandlungen bei Pflegeinstitutionen und um Zwangsadoptionen. Die Ermittlungen sollen umfassend sein und sich auf körperliche, sexuelle und psychische Misshandlungen erstrecken. Abgesegnet wurde am Freitag in der Parlamentarischen Versammlung auch ein Bericht zur Situation in Europa mit Empfehlungen.

Die Empfehlungen des Europarates entsprechen den Forderungen der europäischen Justice Initiative, die vom Solothurner Unternehmer Guido Fluri lanciert wurde. Leitender Berichterstatter in der Sache war Nationalrat Fridez, der auch Mitglied der Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ist.

"Wer die Missbrauchsfälle von früher ignoriert, kann die Missbrauchsfälle von heute und morgen nicht wirksam bekämpfen", sagte Fridez vor dem Europarat. Diese Argumentation überzeugte die Mehrheit der Parlamentsmitglieder, wie es in einer Mitteilung der Justice Initiative und der Guido-Fluri-Stiftung hiess.

12'000 Fälle in der Schweiz

In der Schweiz hatte die Wiedergutmachungsinitiative der Guido-Fluri-Stiftung zu einem Gesetz geführt, das die Anerkennung des Unrechts, die wissenschaftliche Aufarbeitung sowie die Solidaritätszahlung ins Zentrum stellte. Über 12'000 Überlebende von Kindesmissbrauch haben dadurch eine offizielle Anerkennung des Unrechts und eine Solidaritätszahlung erhalten, und die Missbrauchsfälle wurden staatlich aufgearbeitet.

Nach dieser Wiedergutmachung haben sich Opfergruppen und Kinderschutzorganisationen aus ganz Europa im Rahmen der Justice Initiative zusammengeschlossen und sich für eine ähnliche Gesetzesvorlage auf Stufe Europarat stark gemacht.

Dem 1949 gegründeten Europarat gehören neben der Schweiz 45 weitere Länder mit über 670 Millionen Bürgerinnen und Bürgern an. Der Europarat ist institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden.

SDA
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