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Frankreich geht verdeckt durch das Turnier

Frankreich ist eine seltsame Mannschaft. Der Weltmeister, der als erstes Team seit 1962 den Titel erfolgreich verteidigen kann, scheint die meiste Zeit mit angezogener Handbremse zu spielen.

Olivier Giroud (links) und Theo Hernandez nach dem 1:0 gegen Marokko © KEYSTONE/AP/Christophe Ena
Olivier Giroud (links) und Theo Hernandez nach dem 1:0 gegen Marokko © KEYSTONE/AP/Christophe Ena
Olivier Giroud (links) und Theo Hernandez nach dem 1:0 gegen Marokko © KEYSTONE/AP/Christophe Ena
Olivier Giroud (links) und Theo Hernandez nach dem 1:0 gegen Marokko © KEYSTONE/AP/Christophe Ena
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In Argentinien zerbricht man sich gerade den Kopf, um herauszufinden, wie stark denn dieses Frankreich ist, das als einziges Team noch zwischen den Südamerikanern und dem dritten WM-Titel steht. Selbst in Frankreich tut man sich schwer, die Truppe von Nationalcoach Didier Deschamps einzuordnen. Ein komisches Team sei das, stellte "L'Equipe" nach dem Halbfinal gegen Marokko fest. In dieser Feststellung schwingt Respekt, aber auch eine gute Portion Skepsis mit.

Phasenweise spielen "Les Bleus" grossartig auf, kombinieren gekonnt und in hohem Tempo, dann erlischt das Feuer, so rasch wie es gekommen war. In der K.o.-Runde verbrachte Frankreich deutlich mehr Zeit damit, dem Ball hinterherzulaufen, als ihn nach vorne zu tragen. Gegen Marokko zog sich das Team nach eine starken ersten halben Stunde fast komplett zurück und geriet nach der Pause regelmässig unter Druck und in Gefahr, den Ausgleich zu kassieren.

"Sie scheinen stets kleiner, als sie in Wirklichkeit sind", stellte die argentinische Zeitung "Clarin" mit Blick auf die Statistiken fest. "Abgesehen von einigen Abwesenheiten und neuen Namen scheint Frankreich im Wesentlichen die gleiche Mannschaft zu sein wie vor vier Jahren. Eine praktische Mannschaft, nüchtern bis zum Exzess, die nicht glänzt aber auch nicht verzeiht." Frankreich lasse sich "durch gar nichts nichts Angst machen", warnte "La Nacion" die eigene Nationalmannschaft.

Auch wenn Frankreich als Titelverteidiger nach Katar gereist ist und deshalb auch von Beginn weg als einer der Titelkandidaten gehandelt wurde, hat es alles andere als einen einfachen Weg hinter sich. Es musste viele Rückschläge hinnehmen in den letzten Wochen. Karim Benzema verletzte sich im ersten Training auf katarischem Boden, Luca Hernandez in den ersten Minuten des ersten Spiels, und im Halbfinal fehlten mit Adrien Rabiot und Dayot Upamecano zwei Leistungsträger krankheitsbedingt. Mit den verletzten Paul Pogba, Ngolo Kanté, Presnel Kimpembe und Christopher Nkunku ergibt das in der Summe acht abwesende Leistungsträger gegen Marokko.

Der Plan sind wenig Fehler

Von einem Exploit, der aus der Tiefe kommt, spricht "L'Equipe". Eine Finalqualifikation, die noch vor einigen Wochen schwer vorstellbar war und auch der Tiefe des Kaders zu verdanken ist. "Natürlich sind wir stolz", erklärte Deschamps. "Wir haben die Chance, unseren Titel zu verteidigen. Das ist schon eine grossartige Leistung. Jetzt setzen wir alles daran, dass wir am Sonntag noch glücklicher sind." Der Fokus sei schon auf den Final gerichtet, meinte Griezmann kurz nach der Partie gegen Marokko.

Ein verändertes Frankreich, eine Mannschaft, die mehr nach vorne spielt und öfters die überragenden Angreifer brillieren lässt, ist nicht absehbar. "Wer am wenigsten Fehler macht, wird gewinnen", blickte Deschamps auf den Final gegen Argentinien und gab damit schon mal den Ton vor. Alles kontrolliert aber auch der französische Taktiker nicht. 2018 lieferte das schon damals defensive Frankreich den Argentiniern im Achtelfinal ein torreiches Duell mit dem 4:3-Sieg.

Team der vielen Möglichkeiten

Damals in Russland lagen die Franzosen letztmals in einem Spiel der WM-K.o.-Runde für einige Minuten in Rückstand. Zehn Minuten lagen zwischen dem 2:1 der Argentinier kurz nach der Pause und dem Ausgleich, dem zwei weitere französische Treffer innerhalb kurzer Zeit folgten. Auch die Ausgabe 2022 besitzt die Fähigkeit zu reagieren. Sie hat es in der Hand, rasch in den Angriffsmodus umzuschalten mit einer grossen Zahl an offensiv überragenden Spielern und viel Variabilität im Angriff. Die sieben Tore in der K.o.-Runde fielen auf die unterschiedlichsten Arten - über Kombinationen, Exploits von Mbappé, einen Weitschuss und einen Kopfball.

Mit Giroud hat Frankreich als eine der wenigen Mannschaften an dieser WM sogar einen Stürmer, der auch mit Flanken aus dem Halbfeld etwas anzufangen weiss und speziell nützlich sein kann, wenn es mit der Brechstange klappen soll. Bislang reichte Frankreich im Angriff aber meistens ein zurückhaltendes Werkeln. Die Antwort, wozu es in der Not in der Lage ist, gibt es vielleicht am Sonntag gegen Argentinien.

SDA
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