Pfahlbauerfrauen waren nicht nur Sammlerinnen

Das heutige Bild der prähistorischen Frau ist geprägt von zahlreichen Stereotypen. Um mit einigen dieser Klischees aufzuräumen, macht das Pfahlbauerdorf Gletterens Frauen zu seinem Jahresthema.

Das Pfahlbauerdorf in Gletterens ist ab dem 5. Mai für Besucherinnen und Besucher geöffnet. © Village lacustre Gletterens

Wenn sie an das Leben in der Steinzeit denken, haben heutzutage viele Menschen ein klares Bild im Kopf: Einfache Hütten mit Strohdächern. Feuer, die die Frauen des Dorfs den ganzen Tag lang betreuen, während sie sich um häusliche Aufgaben und ihre Kinder kümmern. Die Männer gehen auf die Jagd und bringen am Abend ihre Beute nach Hause, die die Frauen dann zusammen mit gesammelten Waldfrüchten zubereiten.

Dieses Bild ist geprägt von Klischees, die sich auch heute noch hartnäckig halten. "Es spiegelt die Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts wieder", erklärt François Rossel vom Pfahlbauerdorf Gletterens gegenüber den Freiburger Nachrichten. "Entdeckungen der Archäologen in dieser Zeit wurden im Kontext des damaligen Weltbilds interpretiert. Und dieses beinhaltete die Rolle der Frau am Herd, der Hausfrau."

Das Pfahlbauerdorf Gletterens ist bereit für die neue Saison. ©zvg

Aufräumen mit Klischees

Um mit einigen von diesen Stereotypen aufzuräumen hat sich das Pfahlbauerdorf dazu entschieden, seine diesjährige Saison dem Thema der Frauen in der Frühgeschichte zu widmen. "Ich war zunächst etwas skeptisch", gibt Rossel zu. "Ich habe mich gefragt, was wir dazu überhaupt erzählen können – es stellt sich heraus, da gibt es ganz viel!"

Dies beginne schon bei der Frage, wie sich bei einem Grabfund ein männliches Skelett von einem weiblichen unterscheiden lasse. "Um das eindeutig zu sagen, muss man entweder das Becken, oder bestimmte kleine Knochen aus dem Ohr finden", so Rossel. Da Skelette aber oft unvollständig seien, können bei vielen Funden das Geschlecht gar nicht abschliessend bestimmt werden. "In der Vergangenheit haben die Archäologen dann oft basierend auf Vorurteilen entschieden: War ein Skelett kleiner und hatte feinere Knochen, oder fand man daneben eine Halskette, hielt man es für weiblich. Dabei gibt es ja auch kleine Männer oder Männer, die Halsketten tragen."

Heutzutage ermöglichen Untersuchungen der DNA in gewissen Fällen neue Erkenntnisse. Neue Studien zeigen ausserdem, dass in fast 80 Prozent der frühzeitlichen Gemeinschaften Frauen auch auf die Jagd gingen, nicht nur die Männer. Mit der Interpretation müsse man dennoch vorsichtig sein, so Rossel, denn auch diese sei von der aktuellen Situation in unserer Gesellschaft beeinflusst. "Man möchte heutzutage, wo die Gleichstellung der Geschlechter wichtiger ist als je, natürlich gerne sagen, dass es in der Frühgeschichte Jägerinnen gab, die genau dasselbe vollbrachten, wie die Männer." In der Realität hätten Frauen aber wohl eher mit Schlingen und Fallen gejagt, als mit dem Speer.

Allgemein seien viele Fragen über das Leben der Frauen in der Steinzeit unbeantwortet: Waren kinderlose Frauen in der Gesellschaft akzeptiert? Blieb die Frau nach der Heirat in ihrer Familie oder zog sie zu der ihres Mannes? Kämpften Frauen in Kriegen? Rossel betont:

Schlussendlich können wir, bei prähistorischen Frauen genau so wenig generalisieren, wie bei Schweizer Frauen. Alle Menschen heben sich irgendwie von der Masse ab.

François Rossel, Mitarbeiter Pfahlbauerdorf Gletterens

Ohne Schrift, die es bei den Pfahlbauern im 6. bis 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung noch nicht gab, sei es allgemein schwierig, etwas konkret «beweisen» zu können. "Etwas, das wir mit Sicherheit über prähistorische Frauen wissen, ist aber, dass sie im Vergleich zu anderen Primaten auch lange nach der Menopause noch lebten", so Rossel. Das bedeutet, dass auch die Rolle der Grossmütter in der prähistorischen Gesellschaft nicht zu vernachlässigen sei. "Es ist wie heutzutage – die Eltern bringen ihre Kinder zu den Grosseltern, um sich für andere Aufgaben zu befreien", sagt der Experte, der selbst auch Kinder hat. "Das bedeutet, dass wohl auch die prähistorischen Frauen nicht an den Herd gefesselt waren, wie man es lange vermutete. Wenn die Grossmütter auf die Kinder aufpassten, konnten sie jagen gehen oder sogar weite, mehrtägige Reisen auf sich nehmen."

Das Pfahlbauerdorf Gletterens bietet dieses Jahr Ateliers zum Thema Frauen an. ©zvg


Im Rahmen des Jahresthemas organisiert das Pfahlbauerdorf nun zahlreiche Diskussionsrunden, Vorträge und Ateliers. Bei der Eröffnung der Anlage am 5. Mai haben Besucherinnen und Besucher etwa die Möglichkeit, Frauenskulpturen aus Ton in prähistorischem Stil zu gestalten. Später im Jahr gibt es beispielsweise ein Atelier zum Thema Heilpflanzen in Zusammenhang mit der Menstruation oder dem Stillen, oder eine Diskussion über kinderlose Frauen.

Eröffnung Pfahlbauerdorf Gletterens: So. 5.5., 13 bis 16:30 Uhr.

Mehr Informationen unter https://www.village-lacustre.ch/

RadioFr. - Redaktion / Carine Meier
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