"Unity" als Motto der Inauguration

Für ihn war es überraschend, dass die Amtseinsetzung ohne Überraschungen über die Bühne gegangen ist. Seit wenigen Tagen ist der 46. Präsident der USA im Amt. RadioFr. sprach darüber mit Siegfried Weichlein, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg.

First Lady Dr. Jill Biden, US-Präsident Joe Biden, US-Vize Kamala Harris und ihr Ehemann Douglas Emhoff © Keystone

(Das gesamte Interview ist weiter unten als Podcast hörbar.)

RadioFr. (RF): Professor Weichlein, lief die Inauguration so, wie von Ihnen erwartet oder gab es auch überraschende Momente?

Siegfried Weichlein (SW): Wir haben ja alle erwartet, dass es Widerstand gegen die Offizialisierung des Wahlsieges von Joe Biden gibt. Das hat man am Militär in Washington DC gesehen. Der Aufwand des Militärs, das Errichten von Mauern – all das signalisierte, dass Gefahr im Verzug ist. Und das war sie ja auch. Meines Wissens ist es aber zu keinen Zusammenstössen und Ausschreitungen gekommen. Auch die Inauguration war sehr bewegend. Der Appell von Biden und die Rede der jungen Poetin Amanda Gorman waren schon sehr bewegende Momente. Biden sprach davon, dass Rechts und Links zusammenfinden sollen. Er sei der Präsident aller Amerikaner. Es war auch so vorgetragen, dass der unvoreingenommene Hörer es zuerst einmal glaubt.

RF: Biden hat viel von der «Unity» gesprochen, der Einigung. Er will die USA wieder einen. Die USA ist politisch extrem gespalten, rund 74 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben Trump gewählt, 81 Millionen Biden. Wie stehen die Chancen dieser US-Regierung die Einigung im Land tatsächlich herbeizuführen?

SW: Der Kalender der Regierung wird jetzt schnell geprägt von Alltagserfordernissen, und das ist zuerst einmal die Pandemie. Bevor man das Projekt der «Unity» anpackt, gibt es den Stresstest der Institutionen: Die neue Administration muss jetzt etwas gegen die Pandemie unternehmen.

RF: Weil sie beobachtet wird?

Genau. Die Biden-Administration wird daran gemessen, was sie in den nächsten zwei Wochen auf die Beine stellt. Vor der Operation „Unity“ gibt es einen Realitätstest. Und das ist die Glaubwürdigkeit, ob eine Administration einen neuen Zugang zu dieser Katastrophe findet.

Das ganze Interview zum Nachhören:

Biden hat sich nach der Zeremonie auch gleich an den Schreibtisch gesetzt und erste Verfügungen erlassen. Sie betreffen vor allem den Umgang mit der Covid-Krise, aber auch die Abschaffung von Ungleichheiten, Einwanderungsbestimmungen, aber auch das Wiederanknüpfen der USA an das Pariser Klimaabkommen oder die Annäherung an die WHO. Welches Zeichen wollte Biden mit diesen ersten 17 Verfügungen setzen?

Das Signal ist nicht zu übersehen. Nach dem Unilateralismus der Trump-Jahre kommt das erneute Engagement der US-Regierung in den internationalen Institutionen. Das Engagement im Konzert der Mächte und das Ende des Unilateralismus sollen damit signalisiert werden. Das andere Thema ist die Migration. Auch da hat er einen überfälligen Schnitt gemacht: Den „Dreamern“ ermöglicht er, „Citizens“ – Bürger – zu werden. Er reitet nicht auf der hochideologisierten Welle von Trump weiter. Das würde ich «sich ehrlich machen» nennen. Biden erwidert das geschenkte Vertrauen, indem er multilateral handelt. Und dass die Mauer zu Mexiko nicht mehr bezahlt wird, ist ebenso überfällig.

Welche ersten Tanzschritte sind auf dem internationalen Parkett von Biden und Harris zu erwarten?

Das internationale Parkett wird in den ersten Monaten nicht die grosse Rolle spielen. Es deutet sich an, dass Covid-19 die erste, zweite und dritte Priorität ist. Danach kommen die ökonomischen Massnahmen. Aber: Biden ist der langjährige Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses des Senats. Er hat Expertise auf der internationalen Ebene. Das ist etwas Neues. Trump hatte keine Erfahrungen mit internationalen Beziehungen, Obama auch nicht, und vom jüngeren Bush will ich gar nicht sprechen. Clinton hatte ebenfalls keine Erfahrung. Für die internationalen Beziehungen ist Biden ein Glücksfall, denn er muss nicht zum Jagen getragen werden, doch endlich mal mit der Europäischen Union, mit China, mit Afrika, Nigeria, Brasilien, Argentinien, und wie sie alle heissen, ins Gespräch zu kommen. Er ist jemand, der das schon kennt, der bestens vernetzt ist auf dem internationalen Parkett.

Kommen wir noch zu Donald Trump. Er meinte, dass er in irgendeiner Form zurückkäme. Welche Form könnte das sein und wie viel Macht hat er noch in den USA?

Dass Trump 2024 wieder antreten wird, ist zuerst einmal fraglich. Aber er verfügt über ein enormes Drohpotenzial von der Basis her. Vergessen wir nicht: Er kommt nicht aus der republikanischen Partei. Er hat von aussen die Partei übernommen. «Hostile takeover» - feindliche Übernahme – nennen wir das. In zwei Jahren sind im Senat und im Repräsentatenhaus Wiederwahlen und die Kandidaten sind permanent der Gefahr ausgesetzt, in den «Primaries» (parteiinternes Verfahren der Parteien, um die Kandidat*innen aufzustellen) abgelöst zu werden durch einen Kandidaten von Trump. Deswegen dürfen sie es sich mit Trump nicht verderben. Damit bin ich beim zweiten Punkt: Die republikanische Partei muss sich entscheiden. Wie geht sie mit den «Gamers» und den «Breakers» um. Die «Gamers» sind diejenigen, die das System zu ihrem Vorteil auslegen und dehnen. Die «Breakers» hingegen rebellieren gegen das System als Ganzes und kalkulieren den Bruch durchaus mit ein. Die Republikaner haben sich da noch nicht entschieden. Aber der Systemfrage können sie nicht ausweichen, denn sonst verlieren sie die Wahl, dann spalten sie sich. Dann würde sich der Trump-Flügel zwar immer mehr verselbstständigen, könnte die Wahlen ohne die anderen Republikaner aber doch nicht gewinnen. So könnten die Republikaner dem Phänomen „Ross Perot“ (Der texanische Multi-Milliardär hat mit seiner Kandidatur 1992 wohl die Wahl von Bill Clinton zum US-Präsidenten ermöglicht. Anm. d. Red.) zum Opfer fallen. Das hiesse: Wahlen verlieren, weil sie zu viele Kandidaten haben. Die republikanische Partei muss sich entscheiden zwischen den «Gamers» und den «Breakers».

Trump wird wohl nicht so schnell verschwinden, wie sich das einige erhofften. Sind sie  zuversichtlich oder optimistisch, dass die Politik international etwas weniger volatil wird unter der US-Regierung Biden und Harris?

Mit neuen Akteuren steigt das Vertrauen in die Aushandlungsfähigkeit. Deswegen bin ich verhalten optimistisch. Aber die Probleme werden ja nicht weniger, wie beispielsweise das Finanzsystem. Strukturell sehe ich den optimistischen Part eher für uns Europäer. Biden ist ein Europäer von seiner Herkunft her, vom Stil her. Er hat internationale Netzwerke, ist in Europa breit aufgestellt und hat mit den zentralen Figuren der europäischen Politik ein stärkeres, auch emotionales Einverständnis.

RadioFr. - Valentin Brügger
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