Locher-Bericht publiziert

Der ehemalige Präsident der Reformierten Kirche Schweiz, Gottfried Locher, hat eine ehemalige Mitarbeitende in ihrer sexuellen, psychischen und spirituellen Integrität verletzt. Zu diesem Schluss kommt ein Untersuchungsbericht.

Der ehemalige Präsident der Reformierten Kirchen Schweiz, Gottfried Locher. (Archivbild) © KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Verfasst hat den Bericht eine von der Kirche eingesetzte Untersuchungskommission. Diese wiederum hatte eine externe Anwaltskanzlei mit der Aufarbeitung betraut.

Die Aufarbeitung des Falls kostete die Kirche bisher rund 400'000 Franken, wie Roland Stach, Mitglied der Untersuchungskommission, am Mittwoch vor den Medien in Bern ausführte.

Der Bericht stellt Locher kein gutes Zeugnis aus: Er habe seine Macht als Kirchenpräsident missbraucht und eine ehemalige Mitarbeitende in ihrer Persönlichkeit verletzt. Der damals oberste Reformierte hat nach Ansicht der Kommission "nicht rechtschaffen gehandelt und gegenüber der ehemaligen Angestellten kein vorbildliches Verhalten gezeigt", steht im Bericht.

Locher habe Berufliches und Privates nicht genügend getrennt, lautet ein weiterer Vorwurf. Statt die Beziehung zur Beschwerdeführerin auf das Berufliche zu reduzieren habe er stets neue Versuche unternommen, die Beziehung wieder ins Persönliche zu verlegen. Die Mitarbeitende sei damit "unerwünschten Avancen" Lochers ausgesetzt gewesen.

Der Vorwurf, Berufliches und Privates nicht zu treffen, dürfte auch auf eine weitere Liebesbeziehung Lochers mit einem Mitglied des Kirchenrats gemünzt sein.

Keine Kooperation

Locher selber habe sich bei der Aufarbeitung des Falls nicht kooperativ gezeigt, bilanzierte Marie-Claude Ischer, Präsidentin der Untersuchungskommission, vor den Medien. Die mit der Untersuchungsarbeit betraute Anwaltskanzlei habe zu Locher Kontakt gesucht, dieser sei darauf aber nicht eingetreten.

Die Kommission hat zuhanden der Kirchenleitung verschiedene Empfehlungen abgegeben. Die Reformierte Kirche unterstützt bis auf einen sämtliche Vorschläge, sagte Präsidentin Rita Famos.

Anderer Meinung sei die Kirchenleitung in Bezug auf vorgeschlagene organisatorische Änderungen. Das Kirchenparlament habe erst vor kurzem eine neue Verfassung in Kraft gesetzt, führte Famos aus. Sie brauche nicht bereits revidiert zu werden. Doch letztlich entscheide dies das Kirchenparlament im kommenden Herbst.

Die Kommission schlägt der Kirchenleitung vor, eine von der ehemaligen Mitarbeiterin gestellte Forderung auf Wiedergutmachung zu prüfen.

Provokante Äusserungen

Als Gottfried Locher 2011 Präsident der Evangelisch Reformierten Kirche Schweiz (EKS) wurde, galt er vielen als Hoffnungsträger. Dem charismatischen Theologen mit viel Selbstbewusstsein und gewandtem Auftreten wurde zugetraut, der Protestantischen Kirche mehr Sichtbarkeit und ein klareres Profil zu verschaffen.

Locher hielt denn auch nicht mit teilweise provokanten Äusserungen hinter dem Berg. Zunehmend stiess er damit aber auch in eigenen Reihen auf Kritik.

Für Anstoss sorgte etwa eine Äusserung in einem Weltwoche-Artikel, in dem Locher Bedenken zur "Feminisierung" in der Kirche äusserte.

In einem Buch äusserte sich Locher auch zu Sexualität und Prostitution. Für Anstoss sorgte seine Aussage: "Befriedigte Männer sind friedlichere Männer. Darum sage ich, wir sollten den Prostituierten dankbar sein. Sie tragen auf ihre Art etwas zum Frieden bei."

Im vergangenen Frühjahr erhob eine ehemalige Angestellte gegen Locher Vorwürfe wegen "Grenzüberschreitungen". Auch weitere Frauen meldeten sich mit Vorwürfen.

Verhältnis mit Pfarrerin

2020 kam es im Leitungsgremium der Reformierten Kirchen zum abrupten Abgang von Pfarrerin Sabine Brändlin. Sie hatte offengelegt, mit Locher ein Verhältnis gehabt zu haben.

Locher sah hinter den Vorwürfen eine orchestrierte Kampagne gegen ihn. Mit PR-Beratern und Anwälten versuchte er lange, die Deutungshoheit des Geschehens zu behalten. Ende Mai 2020 trat Locher schliesslich zurück.

Neue oberste Protestantin wurde im November 2020 Pfarrerin Rita Famos. Sie hatte bereits 2018 erfolglos gegen Locher kandidiert.

SDA
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