Memo aus dem Untergrund

Am vergangenen Sonntag ist das Lausanne Underground Film & Music Festival zu Ende gegangen. Ein Einblick, Lauschen und Nachfragen.

Das LUFF findet in den Räumlichkeiten des Casino de Montbenon sowie verschiedenen Satellitenorten in Lausanne statt. © LUFF - Anouk Rieben

Auf spontane Einladung von Radio Bollwerk am Freitag nach Lausanne in den Untergrund hinabgefahren. Zusammen mit Radio 40 hat das Berner Gemeinschaftsradio vom 19. bis 23. Oktober am 21. LUFF Gespräche, Interviews, Klanggebilde und Performances über den digitalen Äther gejagt. Beim diesjährigen Besuch bin ich vor allem zum Hören da und will von den Verantwortlichen wissen, wie sie Mucke und Streifen nebeneinander programmieren.

Bon, zuerst im OFF-Bereich vor der Hauptspielstätte Casino de Montbenon mit bekannten Nasen über Programm plaudern und dem unaufhörlichen Regen zürnen, bis Distraktion einsetzt. Grund dafür ist die Klanginstallation "Do the right thing", die die Bollwerk-Equipe in der Tell-Kapelle aufgestellt hat. Das Richtige tun … ein Satz als Wahrnehmungsfilter für den Abend. Aber zuerst im OFF-Zelt unter botanischer Verzierung dem Jungblutrap, respektive blauballadigem Sprechgesang von OPA!CITY lauschen. Danach eine sphärisch-rituelle Performance von Satin de Compostela & Juniper, die Esoterik, Mythos und Fleischlichkeit in hybriden Klangwelten verschmelzen lassen.

Die OFF-Equipe hat ein Programm voller Visionen sowohl utopischer als auch dystopischer Weltmöglichkeiten zusammengestellt, welche anstelle maroder Systemkonstrukte treten könnten. Spirituelle Ankerwürfe und sinnliche Gegenkonzepte zur Dämonengrube unter restriktiven und egozentrischen Gemeinschaften.

Bier und Regen halten die komplette Verätherung gerade noch zurück und ich folge meiner vergilischen Begleitung in die mondäne Stuckhalle zur Filmvorführung von John Waters Multiple Maniacs aus dem Jahre 1970. Ein als Kavalkade der Perversion beschriebener Streifen, der mit allem und über alles brechen will, was die damalige Gesellschaft als Etikette vorgab. Bald absurd, bald ekelerregend, bald amüsant, paar absolute WTF-Momente und vor allem super trashig. Obzwar der Fokus des Besuchs auf dem Klanglichen lag, will ich vom Co-Verantwortlichen des Musik-Programms Dimitri Meier wissen, inwiefern Film und Musik am LUFF zusammengehören:

"Im Grunde besteht keine besondere Verbindung zwischen dem filmischen und dem musikalischen Programm des LUFF. Ein eventueller roter Faden kann zwar während des Festivals entstehen, ist aber a priori nicht geplant. Die musikalische Programmation funktioniert getrennt vom filmischen Teil des LUFF und orientiert sich auch nicht an einer bestimmten Thematik. Meistens haben wir vier bis fünf Acts, die wir unbedingt buchen möchten und fügen dem Programm Schritt für Schritt weitere Acts hinzu."

Ok, dann halt die zoophilen Hummerszenen in den Rauchschwaden des Eingangszelts zergehen lassen und bisschen Regen tanken, bevor es hinab geht in den Festsaal im Casinokeller, wo das Londoner Duo Komare mit analogen Synthies und Stimmverfremdung unangestrengt die Raumdiagonale dehnen. Ein halluzinogenes Hallo des musikalischen Hauptprogramms des freitäglichen LUFF-Abends. Warmgeschwungene Körper wären jetzt empfänglich für stärkere Zerstäubung oder für ballistische Entgrenzung.

Zuerst aber noch Klangkochen mit On Yee Lo. Die Köchin und Musikerin verbindet sonische und kulinarische Techniken, was anfänglich bannt, aber spätestens bei der wirren Essensverteilung kochschulartige Entzauberung erfährt. Warum zerreisst die Programmation hier den hypersensitiven Baldachin, Dimitri Meier?

"Was uns auch interessiert, sind die Verbindungen, die zwischen den Acts an den einzelnen Abenden entstehen können. Die Abfolge der Performances funktioniert am LUFF ein wenig anders als an anderen Festivals, wo vielleicht der Act am Schluss spielt, zu welchem am besten getanzt werden kann. Am LUFF kann der Abend auch mit der ruhigsten Performance zu Ende gehen. Es geht mehr darum, überraschende Momente zu schaffen und weniger um eine kohärente Stimmungsabfolge. Das Publikum des LUFF schätzt das."

Was das Dutzend befragter Personen bei der Zwischenpause auch schätzt, ist lärmumhüllte Tanzwut. Auftritt Danny Orlowski und Tommi Kelly aka Deli Girls aus dem Unterbauch der New Yorker DIY-Szene. Eine dichte Wolke aus wuchtigen Beats industrieller Schwere, synthetischen Messerschnitten, Elementen aus Rap, Dance, Nu-metal, gepaart mit wütenden Vocals zwischen emotionalem Krampf und ätzender Verzerrung.

Abriss mit Lärmfäusten und unmissverständlicher Parole: Anti-establishment, anti-rape, pro-queer, pro-freak! Keine Visionen, sondern nackte Existenz, Tabula rasa, Leerfegen der verblendeten Hirnplatte, Engagement, Widerstand und Rebellion. Das Publikum kommuniziert Einverständnis via heftigem Körpereinsatz. "Am LUFF gibt es nur fünf Konzerte pro Abend, was relativ wenig im Vergleich zu anderen Festivals ist. Diese sind aber teils sehr intensiv", sagt Dimitri Meier. Inwiefern will das Festival solchen Stimmen Raum bieten?

"Das LUFF wirkt als Verstärker dieser Stimmen, da die meisten Acts, die wir einladen, normalerweise keine grosse Visibilität in der Schweiz und Europa haben. Wir suchen diese Künstler*innen, die in ihren Nischen und Kellern spannende Performances kreieren und geben ihnen hier eine etwas andere Plattform. Vor allem die amerikanischen Acts dieser Ausgabe waren schon allein von der technischen Infrastruktur am LUFF begeistert. Sie spielen normalerweise in viel rudimentäreren Kontexten und besetzten Häusern. Ein etwas krasser Kontrast zur Spielstätte des LUFF im Casino de Montbenon."

Ein weiteres Beispiel, das auf diesen Anspruch des LUFF verweist, ist die viel gelobte Performance von Emme vom Vorabend. Die gefeierte Figur aus der New Yorker Queer-Noise-Szene kreiert mit Requisiten, Kostümen, Licht-Raum Konzepten und eindringlichen Choreografien düstere Welten, die das Publikum, wie auch Meier verblüfften.

"Ja, die Performance von Emme war enorm beeindruckend. Es war ihre erste Show in Europa und zudem war es ein Novum, dass am LUFF ein Act mit eigenem Bühnenbild und eigener Choreografie auftrat. Das hatten wir so noch nie. Ich hoffe sehr, dass Emme in Zukunft an anderen Festivals in Europa ihre dantische Performance präsentieren kann."

Nach der Extreme der Deli Girls folgt noch das detaillierte Experiment mit Klangfragmenten und Vokalisen von Duncan Harrison oder das hart-zappende Lasergeflecht des Doppelpulsars Measure Maniacs. Wiederum verschiedene Modulationsversuche von Dichte und Intensität, was laut Meier auch wichtiges Kriterium für die Auswahl der Acts ist. "Wir müssen ein gutes Gefühl beim Booking haben. Auch wir verstehen nicht immer ganz genau unsere Intention, warum wir nun diesen oder jenen Act einladen und an einer bestimmten Stelle im Programm platzieren. Wir lassen uns auch immer und gerne überraschen. Normalerweise funktioniert die Programmation aber gut." So steige ich aus dem heissen Festkeller in den Lausanner Regen in Richtung Bahnhof. Merci LUFF, merci Radio Bollwerk.

Memos von unterwegs: LUFF 23 freihalten, Emme nachhören/sehen, wann ist Community?, Intentionsspektren von Kritik, Höllenkreise in uns.

Solange noch paar Schweiss- und Schwefelschwaden aus dem Untergrund in nach Lavendel duftende Wandelhallen strömen, lass ich noch nicht alle Hoffnung fahren.

Bilanz-Telegramm

Rund 11‘000 Personen besuchten vom 19. bis 23. Oktober 2022 das Lausanne Underground Film & Music Festival in den Räumlichkeiten des Casino de Montbenon sowie verschiedenen Satellitenorten in der Stadt. Im OFF-Programm verzeichnet das Festival ein wachsendes Publikum und in den Kinos waren mehrere Kurzfilmvorführungen ausverkauft. Auch das Musikprogramm verzeichnet das Festival als Erfolg. Obwohl mehrere Acts aus verschiedenen Gründen absagten, konnte das LUFF sowohl wichtige Figuren des Genrekinos als auch junge Talente aus dem Bereich Regie und Ton der internationalen Undergroundszene empfangen. Das Festival wäre ohne den Einsatz der 160 freiwillig Helfenden nicht möglich gewesen.

RadioFr. - Valentin Brügger
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