"Nichts ist wirklich künstlich"

Mit der EP "Hyle" vertieft Noémi Büchi ihre Klangforschung rund um die Thematik der Materie und verstärkt die emotionale Komponente.

In Noémi Büchis Live-Performance manifestiert sich ihr hohes Improvisationstalent. © zvg

Der altgriechische Begriff Hyle betitelt ein weiteres Kapitel der Auseinandersetzung Noémi Büchis mit der Thematik der Materie, das logisch auf vorangegangenen Releases wie Matière aus dem Jahr 2020 aufbaut. Ursprung des Forschungsschwerpunkts liegt für Büchi in ihrem Studium der elektroakustischen Komposition. Die Arbeit mit Tonaufzeichnungen von diversen Materialien und die anschliessende Verarbeitung zu musikalischen Stücken. Für die Künstlerin eine Obsession, die zwar im selben Themenfeld agiert, sich in der kreativen und musikalischen Äusserung kontinuierlich weiterentwickelt. So klingt auch die EP Hyle kompositorisch wendiger, venendurchzogener und auch emotionaler.

Die Tracks wachsen und wuchern um erkennbare Strukturen, in welchen aber Klangvariationen und -transformationen kontinuierlich die Aggregatzustände wechseln. Im stroboskopischem Flackern von "Nothing Is Artificial" modellieren fast melodische Schwünge ephemere Gebilde, deren unterschiedliche Beschaffenheiten frei changieren, ohne je sein zu wollen. "Es sind verschiedene Bewegungen, die interagieren und neue Wechsel im Stück bewirken," wie Büchi erklärt. Sonische Überlegungen zu Stoff und Form, Realität und Illusion, und zum natürlichen Ursprung aller Künstlichkeit.

Hyle ist aber nicht steril vertontes Thesenpapier, sondern macht beispielsweise mit dem sich warm ausbreitenden Piano auf „Manifesting Plastic Sorrow“ den Herzmuskel hör- und spürbar. Ist Hyle Büchis bisher ausgereifteste Vermählung zwischen Instrument, elektroakustischer Komposition und Gefühl? "Ich wollte bewusst dem Piano mehr Raum geben und sicher sind dies für mich sehr emotionale Stücke" so Büchi. Eine breitere Palette zwischen organischen und synthetischen Klängen - via von Gefühl geleiteter Improvisation - die auch mit dem dritten Stück "Talking So Loud" facettenreicher wird. Hyle ist eine weitere Vertiefung Büchis Forschungsfokus um die Thematik der Materie und ein hörbar stärkeres Horchen nach Innen.

Die EP ist Vorbote und sinngemässer Teil des Albums Matter, das noch dieses Jahr auf dem Label OUS erscheinen wird.

RadioFr. - Valentin Brügger
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