Wo steht die Pflegeinitiative im Kanton Freiburg?

Rund zehn Pflegefachkräfte pro Tag geben ihren Beruf auf. Die Pflegeinitiative sollte dagegenwirken. Ihre Umsetzung stockt auch in Freiburg.

Pflegepersonen sind gesucht. © Keystone

Pflegende haben es nicht leicht. Lange Arbeitszeiten, wechselnde Dienstpläne und eine anspruchsvolle Klientel machen vielen von ihnen zu schaffen. So sehr, dass viele ihren Beruf nach nur wenigen Jahren wieder an den Nagel hängen. Wie viele dies im Kanton Freiburg sind, kann derzeit niemand genau sagen - auch Gesundheitsdirektor Philippe Demierre nicht.

Gesamtschweizerisch redet man von rund 300 Personen, die jeden Monat aus dem Beruf aussteigen“, sagt Laurent Zemp, Vizepräsident der Sektion Freiburg des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und -männer (SBK). „Die durchschnittliche Berufsverweildauer liegt bei etwa fünf Jahren.“

Zu den Hauptgründen für diese hohe Quote gehören „physische und psychische Überlastung“, wie Urs Kolly, Geschäftsführer der Pflegeheime Maggenberg und St. Martin in Tafers festhält. „Die Betroffenen kommen einfach nicht mehr zur Ruhe. Es läuft und läuft, und sie können sich nicht erholen.“ Ähnlich sieht es Hubert Zumwald, Geschäftsleiter der Pflegeheime Bachmatte in Plaffeien und Ärgera in Giffers. „Dass dieser Druck da ist, lässt sich nicht wegdiskutieren“, räumt er ein.

Bei der Basis noch nicht angekommen

Die Pflegeinitiative, die im November 2021 mit 61 Prozent Ja-Stimmen vom Schweizer Stimmvolk angenommen wurde, sollte hier Abhilfe schaffen. Sie wollte die Arbeitsbedingungen im Pflegebereich verbessern und für die Ausbildung von genügend Fachkräften sorgen. Doch wie sieht es mit ihrer Umsetzung im Kanton Freiburg aus? „Bis jetzt haben wir vom Kanton noch nicht gehört, dass er aktiv etwas für die Umsetzung unternommen hätte“, sagt Marcel Durst, Geschäftsführer des Schweizerischen Verbands der privaten Spitex-Organisationen (ASPS). Staatsrat Demierre widerspricht dem. „Eine direktionsübergreifende Arbeitsgruppe ist derzeit an der Arbeit, was die Umsetzung der Initiative betrifft“, betont er. „Sie bringt Vertreter aus den Bereichen Bildung und Gesundheit zusammen.“ Und eine Studie der Hochschule für Gesundheit Freiburg (HEdS-FR) solle die Gründe für den Exodus aus dem Pflegeberuf eruieren - um daraufhin konkrete Lösungen für bessere Rahmenbedingungen zu erarbeiten.

Im Grossen Rat von Freiburg wird man inzwischen immer ungeduldiger. Gemäss der staatsrätlichen Antwort auf eine Anfrage von Markus Stöckli und Bernadette Mäder-Brülhart (Mitte Links-CSP) vom September 2022 sei mit ersten Resultaten der erwähnten Arbeitsgruppe im Frühling 2023 zu rechnen. Mittlerweile ist aber bereits Sommer. In einer Anfrage vom Mai 2023 erkundigten sich Chantal Pythoud-Gaillard (SP) und Antoinette de Weck (FDP), wie es um die Veröffentlichung der Studie der HEdS-FR steht.

Denn eines ist klar: „Bei der Basis, den Pflegenden, ist noch nicht angekommen, was bezüglich Umsetzung der Pflegeinitiative schon alles gemacht worden ist“, wie Urs Kolly moniert. „Das ist für sie noch sehr theoretisch und sehr weit weg.“

Am Lohn allein liegt es nicht

Welche Rolle spielt eigentlich der Lohn bei all dem? Wenn man sich umhört, hört man überall, dass dieser alleine nicht matchentscheidend sei. „Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden in der Pflege ist sehr stark von den Teams und den Führungspersonen abhängig“, sagt Angela Scalese, Mediensprecherin der Pflegeanbieterin Senevita, die in Murten die Résidence Beaulieu betreibt. Entscheidend sei dabei, „dass auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden Rücksicht genommen wird und ihre Arbeitsbedingungen so gestaltet sind, dass eine Win-Win-Situation entsteht“. Auch Anreize wie etwa Belohnungen oder kleine Geschenke scheinen ein probates Mittel zu sein, um die Zufriedenheit zu erhöhen, wie Staatsrat Demierre bestätigt. Eine Reduktion der Arbeitszeiten ist hingegen eher unwahrscheinlich. „Wir haben uns auch schon überlegt, eine 40- statt einer 42-Stunden-Woche anzubieten“, sagt Urs Kolly hierzu. „Aber konkret wurde diesbezüglich noch nichts unternommen.“

Wie aber steht es um den Lohn der Pflegenden im Kanton? „Er richtet sich in Freiburg grundsätzlich nach den kantonalen Lohnskalen“, sagt Laurent Zemp. Dies gelte nicht nur für das Freiburger Spital HFR, sondern im Grossen und Ganzen auch für die Pflegeheime und die Spitex. Im interkantonalen Vergleich halte Freiburg gut mit, so Zemp. „Wir haben zwar nicht die besten Löhne, sind aber sicher bei den vorderen Kantonen.“ Dass das HFR recht hohe Löhne bezahle, bestätigte auch die HFR-Pflegedirektorin Aline Schuwey auf Anfrage.

Marcel Durst hingegen gibt zu bedenken: „Wir haben unterschiedliche Lohnstrukturen in den Spitälern, den Pflegeheimen und der ambulanten Pflege“. Ausserdem gelte es speziell im Spitexbereich zwischen öffentlichen und privaten Institutionen zu unterscheiden, die nicht gleich lange Spiesse hätten.

Und was ist mit Quereinstieg?

Quereinstieg ist ein Mittel gegen den Fachkräftemangel, wie dies ja auch bei den Lehrkräften geschieht. „Die Eintrittsschwelle ist so niedrig wie möglich zu halten“, sagt Urs Kolly. Ganz wichtig sei aber auch, dass die Heime genug Personalkapazität hätten, um diese Leute dann auch wirklich zu begleiten.

„Man findet aber nicht so einfach Leute“, gibt Hubert Zumwald zu bedenken. Zwar reiche ein Rotkreuzkurs, um in die Pflege einzusteigen, und man finanziere solche Kurse auch mit. Aber auch die Arbeitgeber müssten sich bemühen, den Quereinstieg attraktiv zu gestalten.

Und welche Folgen hat dies alles für die Qualität der Pflege? „Ich habe nicht das Gefühl, dass unsere Bewohnerinnen und Bewohner unter der Situation leiden“, sagt Urs Kolly. „Das ist vor allem dem zu verdanken, dass unsere Mitarbeitenden bereit sind, wenn nötig auch eine gewisse Mehrarbeit zu leisten.“

Hubert Zumwald sieht das kritischer. „Die Qualität kann aufrecht erhalten werden“, sagt er. Aber es dürfe nicht weiter an den Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel der Pflegezeit pro Bewohner geschraubt werden. 

Wie sehen Ihre Erfahrungen aus?

Die Eindrücke von Heimleitern und Berufsverbänden haben wir nun gehört. Wie aber sehen das die Heimbewohnerinnen und -bewohner und deren Angehörigen im Zusammenhang mit dem Pflegefachkraftmangel aus? Spüren Sie diesen Mangel bei den Pflegeleistungen? Teilen Sie uns Ihre Erfahrungen unter redaktion@radiofr.ch oder unter der Nummer 026 351 50 10 mit. Ihre Informationen werden vertraulich behandelt.

RadioFr. - Mario Corpataux / Jean-Claude Goldschmid
...