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Zögerliches Handeln, zu frühe Lockerungen

Zögerliches Handeln, zu frühe Lockerungen und ignorierte Einschränkungen: Die Muster bei der Bewältigung der Spanischen Grippe haben frappierende Ähnlichkeiten mit derjenigen der Corona-Pandemie. Das berichten Forschende im Fachmagazin "Annals of Internal Medicine".

Während der Spanischen Grippe herrschte auch im Burgerspital Bern ein Ausnahmezustand. Der Kanton Bern war vom aggressiven Grippevirus besonders betroffen. © Burgerbibliothek Bern

In den Jahren 1918 und 1919 wütete die spanische Grippe weltweit und tötete in der Schweiz gemäss historischen Quellen 24’447 Menschen. Besonders die lange andauernde zweite Welle forderte viele Opfer.

"Es ist beeindruckend, wie sich beim Vorgehen der Regierung und der Behörden während den Pandemien 1918 und 2020 immer grössere Ähnlichkeiten abzeichnen", sagte der Historiker Kaspar Staub von der Universität Zürich im Gespräch mit Keystone-SDA.

Natürlich gebe es auch wichtige Unterschiede zur Corona-Pandemie: Heute sei es ein anderes Virus, die Lebensumstände andere, die Fachwelt vernetzter und das medizinische Wissen grösser.

Zu frühe Aufhebung der Einschränkungen

Für seine Studie zeichnete das schweizerisch-kanadische Forscherteam das Geschehen im Kanton Bern während der Spanischen Grippe nach, wo das Virus besonders stark wütete.

Zu Beginn der ersten Welle reagierte der Kanton Bern rasch und zentral. Er schränkte Versammlungen ein, schloss Theater, Kinos sowie Schulen und verbot Chorproben. Die Ansteckungen gingen zurück, worauf sämtliche Einschränkungen wieder aufgehoben wurden. Viel zu früh: Die viel schlimmere Herbstwelle rollte an.

Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen

Das Fatale: Der Kanton legte zu Beginn der zweiten Welle die Verantwortung den einzelnen Gemeinden in die Hände. "Dieses dezentrale Reagieren aus Angst vor erneuten Einschränkungen und ihren wirtschaftlichen Konsequenzen hat aber nicht funktioniert", sagte Staub. Erst einige Wochen später erliess die kantonale Regierung wieder strengere zentrale Massnahmen - die Pandemie klang etwas ab.

Doch die zweite Grippewelle hielt die Bevölkerung weiterhin fest im Griff. So kam es im November 1918 bei immer noch hohen Fallzahlen zu Konflikten zwischen Regierung und Arbeiterschaft, die im Landesstreik und in Massenansammlungen mündeten. Auch Truppenzusammenzüge in die zentralen Ortschaften trieben die Übertragungen wieder in die Höhe.

Infolge des Landesstreiks widersetzten sich viele Leute den Versammlungseinschränkungen, die daraufhin aufgrund politischen und öffentlichen Drucks wiederum gelockert wurden. "Wir sehen, dass diese Geschehnisse mit einem deutlichen Wiederanstieg der Fallzahlen assoziiert waren und die zweite Welle damit umso länger dauerte", sagte Staub. Eine ähnliche Entwicklung befürchte man nun wegen den Coronavirus-Mutationen.

Ein Ende kommt bestimmt

Die Studie zeige, dass die Schweiz aus ihrer Geschichte hätte lernen können, sagte der Mitautor und Berner Epidemiologe Peter Jüni von der kanadischen Universität Toronto. "Aus meiner Aussenperspektive ist es schwer nachvollziehbar, dass in einem wohlorganisierten, hochentwickelten und privilegierten Land wie der Schweiz jeder tausendste Mensch an Covid-19 verstorben und jeder dreihundertste hospitalisiert worden ist."

Der historische Blick offenbart aber auch etwas Hoffnungsvolles: Im Frühjahr 2019 bäumte sich die Spanische Grippe 2019 zwar nochmals zu einer relativen milden, dritten Welle auf, danach verschwand sie. "Die akuten Phasen von Pandemien gehen irgendwann einmal auch wieder vorüber", sagte Staub.

SDA
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