Über Sinn und Zweck, Chancen und Risiken eines Generalrates
Anders als dies bei kleineren Dörfern der Fall ist, setzen vor allem Grossgemeinden auf einen Generalrat. Ein Bericht von Lukas Siegfried.
Sinn und Zweck
Fast jedem Dorfbewohner ist die zweimal jährlich stattfindende Gemeindeversammlung bekannt. Bei einzelnen grösseren Dörfern wird das Volk durch einen Generalrat vertreten. Andere wiederum diskutierten über dessen Einführung, stimmten aber letztendlich Nein.
Der Generalrat - eine kulturelle Frage
Andreas Ladner, Politikwissenschaftler an der Uni Lausanne, forscht zu Schweizer Politik auf Gemeindeebene und weiss, wozu ein Generalrat dient: «Er liefert Inputs in die Politik und kontrolliert gleichzeitig die Arbeit der Gemeinde-Exekutive». Im Prinzip nimmt er die gleichen Aufgaben wahr wie ein Parlament auf Kantons- oder Bundesebene.
Die Gemeinde entscheidet eigenmächtig, ob es ein Parlament will: «Es geht um Kultur. Diese demokratisch-theoretische Frage gibt vor, ob man sich lieber mit einer direkten Versammlungsdemokratie organisieren will. Oder es zeigt sich, dass die repräsentative Demokratie gewichtiger ist», erklärt Ladner. Auch hier gibt es den Röschtigraben: in der französischsprachigen Schweiz ist ein Generalrat ziemlich gängig, in der Deutschschweiz existiert er auf Grossgemeinde-Ebene.
Generalrat bildet Unterschiede ab
Der Kanton Freiburg liegt irgendwo in der Mitte: ab 4000-5000 Einwohner:innen wird überlegt, ob ein Generalrat in Frage kommt. Wenn die Gemeinde wächst, wächst auch die Komplexität. Für Andreas Ladner macht ein Generalrat Sinn, wenn es verschiedene Dorfteile gibt oder in der Gemeinde unterschiedliche Menschen wohnen: «Bei einem Versammlungssystem könnte dies zu Schwierigkeiten führen. Ein Gemeindeparlament kann Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsteilen bedeutend besser abbilden und umsetzen».
Ein Generalrat führt auch dazu, dass Leute mehr wählen gehen: «Ein Parlament fördert eher politische Parteien, die Wahlen werden umstrittener. Was die Wahlbeteiligung um ein paar Prozentpunkte steigen lässt», sagt Ladner. Bislang konnte er jedoch in keiner seiner Studien eine direkte, positive Wirkung eines Gemeindeparlaments auf die Politik nachweisen.
Chancen und Risiken
Diesen Herbst stimmten zwei Freiburger Gemeinden darüber ab, ob ein Generalrat in Frage kommt. Courtepin sagte ja dazu, Mont-Vully stimmte nein. Ein Parlament vereinfacht die Arbeit des Gemeinderats enorm, birgt aber auch Risiken.
Corona stellt Politik auf den Kopf
Die Pandemie verlangt politische Vorgänge. Kerzers entschied erst im letzten November über die Rechnung 2020. Dazu Gemeindepräsidentin Nicole Schwab: «Vielleicht wäre die Arbeit mit 50 Generalräten einfacher gewesen und mit geringerem Aufwand als bei einer Gemeindeversammlung». Kerzers lehnte aber den Generalrat vor sechs Jahren deutlich ab.
In der neu fusionierten Gemeinde Tafers soll sich das ändern. Gemeinderat Gaston Waeber freut sich auf den Generalrat, alles werde einfacher: «In der letzten Legislatur wollte der Gemeinderat Vollgas geben, wurde aber durch die Termine der Gemeindeversammlung blockiert. Mit einem Generalrat wäre alles viel effizienter und professioneller gewesen».
Generalrat richtige Lösung
Wünnewil-Flamatt ist unterdessen überzeugt, dass die Einführung des Generalrats vor neun Jahren der richtige Schritt war. Syndic Andreas Freiburghaus erzählt: «Zu Beginn taten sich alle schwer damit, die noch eine Gemeindeversammlung erlebt hatten. Heute möchte niemand mehr von uns in diese Zeit zurück».
Ein Risiko bleibt: wird zu viel über Sachgeschäfte diskutiert, erweist es sich als kontraproduktiv. Andreas Ladner, Politologe Uni Lausanne, spricht in diesem Zusammenhang von Überpolitisierung: «Eine Debatte lohnt sich, wenn politische Werte aufeinander geraten. Auf der anderen Seite macht es unter Umständen wenig Sinn, lange über die Breite eines Trottoirs zu diskutieren». Ob ein Generalrat gut oder schlecht ist, kann er nicht abschliessend sagen. In seinen Studien sieht er keinen wesentlichen positiven Effekt eines Generalrats auf die Gemeindepolitik.