Die Unkonzentriertheit wird zum Muster
Zum dritten Mal im siebten Spiel der EM-Qualifikation spielt die Schweiz nach Führung nur unentschieden.

Die Punktverluste gegen scheinbar unterlegene Gegner müssen zu denken geben. Kürzlich ermittelte FotMob, eine norwegische Firma, die eine Fussball-App betreibt, dass die Schweiz in der EM-Qualifikation mit gut 74 Prozent den höchsten Ballbesitz-Wert aller Teams aufweist. Tatsächlich treten die Schweizer in der aktuellen Kampagne meist dominant auf und drängen die Gegner in deren Hälfte. Auch im Heimspiel gegen Belarus kam sie auf einen Ballbesitzanteil von 70 Prozent.
Angesichts dieser Dominanz scheint es schier unfassbar, dass die Schweizer nicht nur schon drei Mal Punkte abgegeben, sondern auch bereits acht Gegentore kassiert haben. Nach dem Heimspiel gegen Rumänien (2:2 nach 2:0-Führung) konnte Nationaltrainer Murat Yakin noch von einem Ausrutscher sprechen. Nach dem Auswärtsspiel in Kosovo (2:2 nach 1:0- und 2:1-Führung) monierte er die fehlende Cleverness. Und nach dem 3:3 im Heimspiel gegen Belarus.

Bei Yakin tönte es ähnlich wie bei den Spielern: "Es ist schwierig zu erklären, was heute passiert ist, was in den letzten Spielen passiert ist", sagte der 49-Jährige, ehe allzu bekannte Formulierungen folgten. Man müsse bis zum Schluss konzentriert bleiben, immer an die Grenze gehen, sich nie zu sicher sein. Die Voten des Trainers wiederholen sich, weil sich das Geschehen auf dem Platz wiederholt. Zwar hat jede Partie ihren eigenen Charakter, und schreibt ihre eigene Geschichte, doch die Unkonzentriertheit bei den Schweizern wird zum Muster.
Einziger Lichtblick im Spiel gegen Belarus war die Aufholjagd nach dem Gegentreffer zum 1:3, der in der 84. Minute fiel und drei Minuten später durch den Video-Assistenten bestätigt wurde. "Wie wir ins Spiel zurückgekommen sind, war ein starkes Zeichen", sagte Yakin und fügte an: "Die Mannschaft lebt." Auch hielt der Trainer fest, dass sein Team die Qualifikation für die EM noch immer in den eigenen Händen habe. Ein schwacher Trost nach dem eindrücklichen Start in die Kampagne mit sechs Punkten und 8:0-Toren in den ersten beiden Spielen.

Lange schien die Qualifikation für die EM-Endrunde in Deutschland trotz der Ausrutscher nicht in Gefahr. Sollte Israel im November jedoch nochmals in die Qualifikation eingreifen, darf sich die Schweiz jetzt keine Unkonzentriertheiten mehr erlauben.
Stimmen zu Schweiz - Belarus
Murat Yakin (Trainer): "Nach der Führung verpassten wir es, das Resultat höher zu gestalten. Zu Beginn der zweiten Halbzeit machten wir es eigentlich weiter gut. Dann aber verpassten wir es, die präventive Arbeit gegen hinten zu machen. Da waren auch nicht mehr gut organisiert. Wenn du offensiv ein Überzahlspiel riskieren willst, muss auch die Organisation gegen hinten stimmen. Was die Defensive anbelangt, ist das nicht zufriedenstellend. Belarus machte es aber auch clever, stand defensiv massiert und schaltete gut um. Dass wir nicht einfach zehn Siege aus zehn Spielen holen und wir die EM-Qualifikation bis zum letzten Spiel durchziehen müssen, war für mich von Anfang an klar. Das System hinterfrage ich nach diesen drei Gegentoren nicht."

Granit Xhaka (der Captain nach seinem Rekord-Länderspiel): "Der Rekord macht mich stolz. Das Wichtigste wäre aber gewesen, mit drei Punkten nach Hause zu gehen. In der ersten Halbzeit und in den ersten 15, 20 Minuten der zweiten waren wir sehr dominant und hatte Belarus kaum eine Chance. Aber das ist Fussball: Wenn du sie vorne nicht machst, kriegst du sie hinten. Es waren zu einfache Gegentore. Dass wir noch einmal zurückgekommen sind, zeigt unsere gute Moral. Aber insgesamt ist das enttäuschend. Es ist schwer zu erklären, wie es dreimal in Folge passieren kann, dass wir über weite Strecken dominant sind, es aber nicht über 90 Minuten durchziehen."
Xherdan Shaqiri (Torschütze zum 1:0): "Schwer zu sagen, was im Moment los ist bei uns. Die Belarussen standen natürlich hinten rein, spielten wahnsinnig eng, was es nicht einfach machte. Das Positive ist, dass wir am Schluss Moral bewiesen haben und zurückgekommen sind. Nichtsdestotrotz ist das nicht genügend. Solche Gegentore dürfen uns nicht passieren, da müssen wir präventiv besser stehen. Das ist defintiv eine Enttäuschung für uns. Gegen solche Mannschaften musst du Mentalität zeigen und dominieren. Das ist uns nicht gelungen. Wir müssen uns unbedingt steigern, sonst reicht das nicht, um eine grosse EM zu spielen. Wir dürfen nicht zu bequem werden. Jeder muss mehr machen, mehr arbeiten, das besser umsetzen, was der Trainer vorgibt. Es war alles ein bisschen zu langsam heute. Schon gegen Kosovo hatten Probleme, und gegen Andorra war auch nicht alles gut.

Zeki Amdouni (Torschütze zum 3:3): "In der ersten Halbzeit hatten wir den Match gut im Griff, dann ist das Spiel eingeschlafen. Wir hätten zwei Tore schiessen müssen, um sicher zu sein, und dann kassieren wir zu einfach zwei Gegentore. Das Wichtigste war ein gutes Resultat, und das ist uns nicht gelungen. Die Reaktion auf das 1:3 ist gut, aber es ist klar, dass wir gar nie 1:3 in Rückstand geraten dürfen."
Manuel Akanji (Torschütze zum 2:3): "Sie haben drei Möglichkeiten und machen drei Tore, wir hatten etwa zehn. Vielleicht haben wir ein kleines bisschen nachgelassen in der zweiten Halbzeit, aber es war nicht so, dass Belarus die bessere Mannschaft war. Wir erhalten definitiv zu viele Gegentore in letzter Zeit, das müssen wir ändern. Es gab eine Zeit, da war es sehr schwierig, gegen uns ein Tor zu erzielen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Wir müssen uns jetzt steigern, sonst wird es noch einmal eng."
Jordan Lotomba: "Ich bin ziemlich frustriert, wir hatten den Match eigentlich im Griff. Die Reaktion auf den Rückstand ist uns zwar gelungen, aber es ist nicht, was wir wollten. Gegen einen solchen Gegner muss man schnell in Führung gehen, das ist gelungen. Dann fehlte uns aber etwas die Konzentration. Ich bin stolz, zurück in der Mannschaft zu sein. Es war nicht einfach mit dem letzten Pass, das soll aber keine Entschuldigung sein. Nächstes Mal muss ich es besser machen."
Telegramm und Rangliste:
Schweiz - Belarus 3:3 (1:0)
Kybunpark, St. Gallen. - 17'000 Zuschauer. - SR Pinheiro (POR).
Tore: 28. Shaqiri 1:0. 61. Ebong (Antilewski) 1:1. 69. Poljakow (Petschenin) 1:2. 84. Antilewski (Petschenin) 1:3. 89. Akanji (Shaqiri) 2:3. 90. Amdouni 3:3.
Schweiz: Sommer; Lotomba, Schär, Akanji, Rodriguez (73. Garcia); Freuler, Xhaka; Shaqiri, Sow (63. Amdouni), Steffen (73. Ndoye); Itten (63. Zeqiri).
Belarus: Ignatowitsch; Karpowitsch, Wolkow, Politewitsch, Poljakow; Ebong, Botscherow (64. Morosow), Korsun (95. Pawlowez); Bachar (64. Petschenin), Konzewoj (46. Antilewski), Malkewitsch (83. Klimowitsch).
Bemerkungen: Schweiz ohne Elvedi, Embolo, Okafor, Vargas und Widmer (alle verletzt). 118. Länderspiel von Xhaka, der damit den Rekord von Heinz Hermann egalisiert. Verwarnungen: 4. Politewitsch. 77. Zeqiri. 90. Petschenin. 92. Antilewski.
Rangliste: 1. Schweiz 7/15 (20:8). 2. Rumänien 7/13 (9:4). 3. Israel 6/11 (7:7). 4. Kosovo 7/7 (8:8). 5. Belarus 8/6 (7:14). 6. Andorra 7/2 (3:13).