Hall belebt englische Tradition wieder

Brad Hall könnte an der Viererbob-WM zum Spielverderber im Duell zwischen der Schweiz und Deutschland werden. Der Engländer will in St. Moritz an eine fast schon vergessene Tradition anknüpfen.

Farbtupfer im (gelben) Meer der deutschen Teamjacken: Im Zweierbob war der Engländer Brad Hall mit seinem 5. Platz nicht zufrieden © KEYSTONE/MAYK WENDT

Brad Hall könnte fast als Bruder von Prinz Harry durchgehen. Mit seiner bleichen Gesichtsfarbe, dem rötlich-blonden Haarschopf und dem ausgeprägt höflichen Auftreten ist der 32-Jährige aus Crawley im Süden von London der geradezu prototypische Engländer. Was nicht passt, sind die winterliche Kulisse im Zielraum von Celerina und der Eiskanal.

Nach den Rücktritten des Kanadiers Justin Kripps und des Österreichers Benjamin Maier sowie der langen Rekonvaleszenz des Letten Oskars Kibermanis ist Hall der grosse Farbtupfer im traditionell von Deutschen und Schweizern dominierten Bobsport. Seine Fortschritte in dieser Saison sind frappant. In sechs Weltcuprennen gewann Hall dreimal, wurde zweimal Zweiter und einmal Vierter. Vor zehn Tagen triumphierte er auf der deutschen Parade-Bahn in Altenberg und wurde als erster Brite Europameister.

Eine halbe Million Pfund auftreiben müssen

Kein Wunder gibt es für Hall am Samstag und Sonntag nur ein Ziel: eine Medaille. Der Aufschwung hatte einen ganz einfachen Grund: das liebe Geld. "In den drei Jahren davor musste ich alles selber finanzieren und organisieren, auch alle Trainings, Reisen und Unterkünfte", erzählt der ehemalige Rugby-Spieler (Nummer 12) und Zehnkämpfer gegenüber Keystone-SDA. 400'000 bis 500'000 Pfund musste er auftreiben, neben dem Training keine einfache Aufgabe.

Der Wendepunkt gelang Hall mit dem 6. Platz an den Olympischen Spielen im letzten Jahr. Dadurch schnellte die Förderung des Dachverbands UK Sport für die Sparte Bob von 120'000 auf 1,9 Millionen Pfund im Jahr in die Höhe. Seither kann sich der Engländer voll auf den Sport konzentrieren, dazu mit dem Erfolgstrainer Craig Richardson an der Seite. Dieser, selber ein Brite, hatte zuletzt die Kanadier um den Olympiasieger Kripps betreut.

So kann sich Hall nun auch die höchsten Ziele setzen. "Olympiasieger", sagt er ohne falsche Bescheidenheit. Athletisch gehören die Briten zu den stärksten, das hat auch mit dem Auswahlverfahren zu tun. "Wir haben ja keine Eiskanäle", erklärt er. "Zum Bob kommen die meisten aus anderen Sportarten, aufgrund von Talentbeurteilungen, wenn sie etwas Neues suchen." In St. Moritz war er nach dem 5. WM-Platz - hinter drei Deutschen und dem drittplatzierten Schweizer Michael Vogt - mit dem Zweier enttäuscht. Die Konkurrenten werden auch mit dem grossen Schlitten die gleichen sein, doch im Vierer rechnete sich Hall von Anfang an die besseren Chancen aus.

In den Fussstapfen von Nash-Dixon

Wie schon bei der EM hat er nun auch auf der noch grösseren Bühne die Chance, Geschichte zu schreiben. Der Olympia Bob Run wäre die ideale Stätte dafür. Immerhin wurde der Bobsport im Engadin von Engländern eingeführt und während vielen Jahren gefördert. 1965 waren der erst im letzten Frühling verstorbene Anthony Nash und sein Anschieber Robin Nixon ein Jahr nach ihrem Olympiasieg in Innsbruck die bisher letzten britischen Bob-Weltmeister - in St. Moritz und als Mitglieder des St. Moritz Bobsleigh Club. Nun trägt die fünfte Kurve den Namen Nash-Dixon.

"Ein bisschen weiss ich über die Geschichte", meint Brad Hall lachend. "Aber nicht so viel." In England wächst man natürlich nicht mit dem gleichen Bezug zum Bobsport auf wie in der Schweiz. "Und wir haben ja viele Sportarten erfunden, aber wir sind nicht in allen gut." Im Bob macht sich der rothaarige Engländer auf, das zu ändern.

SDA
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