"Italien ist Italien"
Im Schweizer Nationalteam steckt eine grosse Portion Italien. Remo Freuler, der bisher fast acht Saisons in der Serie A bestritten hat, blickt auf ein nicht nur für ihn besonderes Achtelfinal-Duell.
Am Mittwoch wird in Stuttgart viel Italienisch gesprochen. Nach fast sieben Jahren in Bergamo und nun einem Jahr in Bologna fällt es Remo Freuler nicht schwer, die Fragen der italienischen (und Tessiner) Journalisten in der Landessprache zu beantworten. Eines scheint dem 32-Jährigen dabei besonders wichtig. "Italien ist der Favorit", betont er. Eine weitere Begründung brauche es nicht, denn "l’Italia è l’Italia". Basta.
Die Aussage, Italien sei Favorit gegen die Schweiz, wäre bis vor kurzem wohl von den meisten mit einem Schulterzucken quittiert worden. Auf dem Papier ist es ohnehin klar: Auf der einen Seite die Italiener, vierfacher Welt- und zweifacher Europameister, die in Deutschland ihren Titel verteidigen wollen. Auf der anderen Seite die Schweizer, die als bestes EM-Ergebnis eine Viertelfinal-Teilnahme vorweisen können.
Dass die Favoriten-Frage dennoch gestellt wird, liegt an den eher bescheidenen Leistungen der Italiener in der Gruppenphase. Gegen Albanien gewannen sie mit Mühe, gegen Spanien waren sie chancenlos, und gegen Kroatien holten sie dank eines Lucky Punchs in der 98. Minute den Punkt, der ihnen den zweiten Gruppenplatz rettete.
Dominierende Serie A
So rutschte dem 22-jährigen Fabian Rieder am Vortag der sicher nicht ganz so gemeinte, aber inzwischen schon viel zitierte Satz heraus, man dürfe Italien nicht unterschätzen. Mit "Italien ist Italien" stellte der zehn Jahre ältere Freuler die Sache wieder richtig. Denn er kennt die Serie A, in der bis auf drei Ausnahmen, unter ihnen zwei Torhüter, alle Spieler des italienischen Kaders beschäftigt sind.
Italienische Mannschaften haben in der vergangenen Saison die meisten Punkte in den internationalen Wettbewerben geholt. Deshalb spielt Freuler in der kommenden Saison mit Bologna in der Champions League; Italien wird mit gleich fünf Teams in der Königsklasse vertreten sein. "Ob die Serie A die beste Liga Europas ist, ist Ansichtssache", antwortet Freuler auf die entsprechende Frage. "Aber wir haben in Italien sicher viele sehr gute Mannschaften, und ich bin froh, dort zu spielen."
Das dürften auch einige Kollegen aus dem Nationalteam so sehen. Neben Michel Aebischer (Bologna) und Ricardo Rodriguez (Torino), die schon länger dort engagiert sind, wechselten auf die vergangene Saison hin gleich vier Schweizer Nationalspieler in die Serie A: Yann Sommer von Bayern zu Inter, Noah Okafor von Salzburg zur AC Milan, Dan Ndoye von Basel zu Bologna und Freuler von Nottingham ebenfalls zu Bologna.
Damit ist die italienische Liga nach der Bundesliga, die sieben Akteure stellt, am zweithäufigsten im Schweizer Kader vertreten. Mit je fünf Spielern in den bisherigen Schweizer Startformationen liegt die Serie A an dieser EM aber klar in Führung.
Erinnerungen an letzte EM
Einige von ihnen haben das 0:3 der Schweizer gegen Italien an der letzten EM vor drei Jahren hautnah miterlebt. Auch Freuler. Der zentrale Mittelfeldspieler erinnert sich noch gut daran, wie die Mannschaft die Niederlage genau analysierte, um eine Wiederholung in der folgenden WM-Qualifikation zu verhindern. Und tatsächlich: Mit einem 0:0 zu Hause und einem 1:1 auswärts blieben die Schweizer - Murat Yakin stand damals neu an der Seitenlinie - in den direkten Duellen ungeschlagen und lösten das Ticket für die WM in Katar vor den Italienern, die später im Playoff scheiterten.
Alles Vergangenheit. Freuler ist sich bewusst, dass sich seit diesen beiden Spielen viel verändert hat. Am Samstag treffen zwei neue Teams aufeinander, wobei ein wichtiger Faktor sein könnte, dass die Schweizer eben doch etwas mehr Turniererfahrung mitbringen. "Es ist ganz einfach: Man muss am Tag des Spiels bereit sein", sagt Freuler. "In diesen Spielen entscheidet sich, wie das Turnier am Ende gewertet wird."
Zu oft musste die erfahrene Gruppe um Freuler im Achtelfinal das Aus hinnehmen. Die Ausnahme blieb der Sensationssieg gegen Frankreich am 28. Juni 2021 in Bukarest, der die 0:3-Niederlage gegen Italien zwölf Tage zuvor vergessen liess. Am Samstag in Berlin wollen die Schweizer diese Emotionen wieder erleben - auch dank einer grossen Portion Italien im Team.