Jahrelange Belästigungen bei RTS – SRG mit Massnahmenkatalog

Belästigung und sexuelle Übergriffe beim Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) kamen nach einem Bericht jahrelang häufig vor. Der Verwaltungsrat der Muttergesellschaft SRG verabschiedete in dem Zusammenhang einen Massnahmenkatalog zur Änderung der Betriebskultur.

Betroffene berichteten von offener Belästigung, ungewollten Küssen, anzüglichen Kommentaren und systematischem Machtmissbrauch. © KEYSTONE

Den Bericht legte das mit dem Einholen von Zeugenaussagen zu den Belästigungen und Mobbing bei Radio Télévision Suisse (RTS) beauftragte Anwaltskollektiv am Donnerstag vor. Er bringt zahlreiche weitere Fälle von unangemessenem Verhalten an den Tag.

Aus der Analyse von über 220 Zeugenangaben ergäben sich viele Persönlichkeitsverletzungen in den vergangenen Jahren, weist das Kollektiv aus. Einige der Aussagen reichen mehr als 20 Jahre zurück. Hinweise auf aktuelle Übergriffe gibt es gemäss den Anwälten hingegen nicht, die eine Untersuchung von Vorfällen in den letzten Monaten nötig machen würden.

Zwei Untersuchungen wurden indessen eröffnet. Dabei geht es darum, ob zwei aktuellen Mitarbeiter von Radio Télévision Suisse (RTS) sich Belästigungen zuschulden kommen liessen. Auch eine Analyse des Arbeitsklimas in zwei Abteilungen empfehlen die Anwälte.

Im weiteren gab das Kollektiv ein potenziell unangemessenes Verhalten von neun pensionierten oder ausgetretenen Mitarbeitenden bekannt. Die Verantwortlichkeit der Unternehmensführung für erhärtete Fälle wird abgeklärt.

SRG mit Massnahmenkatalog

Nach den Enthüllungen bei RTS und auch beim italienischsprachigen RSI beschloss der SRG-Verwaltungsrat einen Massnahmenkatalog zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Umsetzung überwacht eine nationale Arbeitsgruppe, die direkt dem Verwaltungsrat berichtet.

Der Katalog umfasst 25 konkrete Massnahmen, wie SRG SSR mitteilte. Die Massnahmen basieren auf den externen Untersuchungen vom November 2020. Im Zuge der aufgedeckten Belästigungen beschloss das Unternehmen, die konkreten Fälle transparent aufzuarbeiten und auf einen Kulturwandel hinzuarbeiten.

Den Start bildet das vom Verwaltungsrat verabschiedete Massnahmenpaket. Dabei setzt die SRG auf die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allen Stufen. Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina erklärte, die Umsetzung beginne sofort.

SRG-Generaldirektor Direktor Gilles Marchand versicherte, dass er sich für Null-Toleranz einsetzen werde. Das Unternehmen werde gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Sanktionen gegen zwei Mitarbeiter

Die Vorwürfe sexueller Belästigungen und Mobbings bei RTS veröffentlichte die Westschweizer Tageszeitung "Le Temps". Betroffene berichteten der Zeitung von offener Belästigung, ungewollten Küssen, anzüglichen Kommentaren und systematischem Machtmissbrauch.

Angeschuldigt wurden drei Mitarbeiter, darunter Darius Rochebin, langjähriger Star-Moderator der RTS-Tagesschau. Die von der SRG eingesetzten unabhängigen Experten attestierten ihm eine weisse Weste. Ein Kadermitarbeiter musste aber gehen, ein weiterer Mitarbeiter wurde sanktioniert.

Obwohl es zu keinen gravierenden Fehlern in der Chefetage gekommen war, verliessen auch der TV-Chefredaktor und der Leiter der Personalabteilung den Sender.

SRG-Generaldirektor Marchand war zum Zeitpunkt der Ereignisse Direktor von Radio Télévision Suisse (RTS). Der SRG-Verwaltungsrat sprach ihm aber sein Vertrauen aus. Zwar hatte er seine "sekundäre Aufsichtsverantwortung" zu wenig wahrgenommen. Ihm seien aber keine "gravierenden Fehler" vorzuwerfen, hielten die externen Gutachter fest. Auch der aktuelle RTS-Chef Pascal Crittin behielt seinen Job.

Neben den Vorfällen bei RTS tauchten auch beim Tessiner Radio und Fernsehen Radiotelevisione svizzera (RSI) Vorwürfe auf. Die Mediengewerkschaft SSM registrierte 32 Beschwerden wegen sexueller Übergriffe, Mobbings und weiterer Persönlichkeitsverletzungen. Auch dort wurde eine externe Untersuchung eingeleitet.

SDA
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