Womöglich tausende Adoptionen durch illegale Praktiken

Zwischen 1970 und 1999 sind wahrscheinlich mehrere tausend Kinder aus dem Ausland durch illegale Praktiken zur Adoption in die Schweiz gelangt.

Adoption kann eine wunderbare Sache sein - solange alles legal abläuft. © Pexels / Kindel Media

Dazu zählen Kinderhandel, gefälschte Dokumenten oder fehlende Herkunftsangaben, wie aus einer neuen Studie hervorgeht. Der Bundesrat bedauerte am Freitag, dass die Behörden damals nichts unternahmen.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) untersuchte im Auftrag des Bundesrates Unterlagen im Bundesarchiv zu Adoptionen aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Korea, Libanon, Peru und Rumänien. Dabei stiessen sie auf 8000 Einreisebewilligungen, die in den 70er- bis 90er-Jahren für Kinder aus diesen Herkunftsländern ausgestellt wurden.

Die meisten dieser Kinder kamen aus Indien mit fast 2799 Einreisen, gefolgt von Kolumbien mit 2122, Brasilien mit 1222 und Korea mit 1065. Doch in allen zehn Herkunftsländern habe es Fälle von Kinderhandel gegeben oder Fälle, bei denen die Schweizer Einreisebehörden mit Kindern konfrontiert wurden, deren Herkunft nicht ausreichend dokumentiert war, sagte Studienleiterin Nadja Ramsauer von der ZHAW.

"Problem externalisiert"

Den Ablauf dieser illegalen Praktiken könne man sich als Zirkel- Bewegung vorstellen. Zum Beispiel seien in den 70er-Jahren die Botschaften in Brasilien mit dem Umstand konfrontiert worden, dass im Geburtsregister die angehenden Adoptiveltern bereits als Eltern eingetragen worden waren.

Wenn die Vertretungen dann beim Bundesamt für Ausländerfragen oder beim Bundesamt für Justiz in Bern Informationen eingefordert hätten, seien an die zuständigen Behörden in Brasilien verwiesen worden. Gleichzeitig habe man gewusst, dass es damals in Brasilien Kinderhandel gab, in den sogar ein Jugendrichter verwickelt war. Doch das Problem sei immer wieder "externalisiert" worden.

In den Akten könne man auch sehen, dass gewisse Eltern zur Verwirklichung ihres starken Kinderwunsches zum Teil sehr weit gegangen seien, "bis hin zu illegalen Praktiken". Vor allem Eltern, die ohne Vermittlungsstellen vor Ort nach einem Kind suchten, um lange Wartezeiten zu umgehen, seien in Gefahr gestanden, mit Kinderhandel in Berührung zu kommen.

Komplexe Verfahren

Dass die Schweizer Behörden trotz Hinweisen auf systemische Fehler nichts unternahmen, habe mit der Zersplitterung der Zuständigkeiten und den komplexen Verfahren zu tun, sagte Ramsauer. Ausserdem habe die Schweiz damals die Uno-Kinderrechtskonventionen und das Haager Kinderschutzübereinkommen noch nicht ratifiziert.

Die Professorin betonte, dass es sich bei ihrer Untersuchung der Akten im Bundesarchiv nicht um eine "gründliche historische Analyse" handle. Es sei lediglich um die Frage gegangen, was die Schweizerischen Vertretungen im Ausland oder die Bundesbehörden über Kinderhandel oder über illegale Adoptionen wussten.

Mit dieser Studie gebe es nun einen Überblick über das vorhandene Archivmaterial. Die Forschenden hätten aber keine Einzelfall-Akten angeschaut. Das gehöre aus ihrer Sicht zu den Forderungen für künftige Forschungsvorhaben. Denn Forschungsbedarf bestehe in allen Kantonen und Vermittlungsstellen, sagte Ramsauer.

Revision des Adoptionsrechts

Der Bundesrat nahm den ZHAW Bericht am Freitag zur Kenntnis. Er bedauerte, dass die Behörden ihre Verantwortung gegenüber diesen Kindern und ihren Familien nur unzureichend wahrnahmen. "Diese Versäumnisse der Behörden prägen das Leben der damals adoptierten Personen bis heute", hiess es in einer Mitteilung.

Die Kantone seien nun dafür verantwortlich, die Betroffenen bei der Herkunftssuche zu unterstützen. Für den Bundesrat sei klar, dass es solche Unregelmässigkeiten in Zukunft nicht mehr geben dürfe. Dazu brauche es eine Revision des internationalen Adoptionsrechts.

Eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe entwickelte zum Thema internationale Adoption zwei mögliche Szenarien: Beim ersten müsste - zusätzlich zur Gesetzesreform - die Zusammenarbeit auf Länder beschränkt werden, welche die Mindestgarantien "nachweisbar" einhalten.

Die zweite Möglichkeit wäre der komplette Ausstieg aus internationalen Adoptionen. Gemäss dem Bericht wurden in den letzten Jahren noch etwa 50 Kinder pro Jahr aus dem Ausland adoptiert. Der Bundesrat beauftragte die Experten, ihm bis Ende 2024 "vertiefte Abklärungen" vorzulegen.

SDA / Frapp
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