Den Gegner bloss nicht unterschätzen

Im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Schottland kann das Team von Murat Yakin den Einzug in die K.o.-Phase sicherstellen.

Michel Aebischer war im ersten Spiel der Schweiz eine grosse Figur. © KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Nach dem Startsieg gegen Ungarn strebt die Schweiz am Mittwoch die Bestätigung an.

Wer ist Favorit?

War die Schweiz zum Auftakt gegen Ungarn nur leicht favorisiert, scheint sie im zweiten Gruppenspiel klar im Vorteil zu sein. Schottland, in der Weltrangliste 20 Ränge hinter der Schweiz auf Platz 39 klassiert, befindet sich nicht erst seit dem 1:5 gegen Deutschland im Tief. Von den letzten zehn Spielen konnten die "Bravehearts" nur eines gewinnen; gegen Gibraltar resultierte ein mageres 2:0.

Die Schweizer hingegen haben sich nach der schwachen Qualifikation gefangen und zeigten gegen Ungarn vor allem in der ersten Halbzeit eine der besten Leistungen seit langem. Dennoch übten sich Betreuer und Spieler in den letzten Tagen in Bescheidenheit. "Wir wollten den Funken von uns auf die Fans überspringen lassen, und das ist uns gelungen", sagte Assistenztrainer Giorgio Contini. Doch schon kurz nach dem Verlassen des Platzes ebbte der Jubel ab und kehrte die Konzentration zurück. "Denn wir alle wissen, dass dies nur ein erster Schritt war."

Wo liegen die Stolperfallen?

Vieles im Fussball ist eine Momentaufnahme. Ein gutes Spiel allein kann die Probleme der Vergangenheit nicht so schnell vergessen machen. Die Schweiz hat sich in der Qualifikation gegen tief stehende Gegner schwer getan - und so dürften auch die Schotten auftreten. Die Briten werden im Gegensatz zu Ungarn wenig für das Spiel tun und auf Konter lauern.

Die Schweizer dürfen sich von der scheinbar günstigen Ausgangslage nicht täuschen lassen. Schottland hat sich im EM-Auftaktspiel gegen einen euphorisierten Gegner unter Wert verkauft - auch wegen einer frühen Roten Karte. "Wir kennen den Spirit der Schotten", sagte Mittelfeldspieler Vincent Sierro. "Sie werden alles geben, um sich vor ihren Fans zu rehabilitieren." Dass die Mannschaft sehr unangenehm sein kann, wissen nicht zuletzt die Spanier, die in der Qualifikation auswärts 0:2 unterlagen. An der letzten EM tat sich auch der spätere Finalist England schwer. Im zweiten Gruppenspiel gegen Schottland reichte es nur zu einem 0:0.

Stellt Yakin wieder um?

Kaum jemand hätte vor dem Spiel gegen Ungarn damit gerechnet, dass Michel Aebischer und Kwadwo Duah in der Startelf stehen würden. Doch ob die beiden erneut das Vertrauen erhalten, ist offen. Vor allem bei Duah, den Yakin als "starken Spieler für die Box" bezeichnet, der mit seinen Läufen in die Tiefe überzeugt, scheint ein zweiter Einsatz von Beginn weg eher unwahrscheinlich. Gegen die tief stehenden Schotten dürfte Zeki Amdouni die besseren Voraussetzungen mitbringen. Breel Embolo - wie Duah Torschütze im ersten Spiel - von Beginn an einzusetzen, wäre angesichts seiner Verletzungshistorie ein grosses Risiko.

Viel diskutiert wurde auch die Personalie Xherdan Shaqiri. Nachdem er im ersten Spiel nicht eingesetzt worden war, meinte Assistenztrainer Contini, "Shaq" werde im Verlauf des Turniers noch eine entscheidende Rolle spielen. Gegen Schottland ist das wahrscheinlicher als gegen Deutschland, wenn vor allem Defensivarbeit gefragt sein wird.

Was ist von Schottland zu erwarten?

Das schottische Kader setzt sich vor allem aus Spielern der nationalen Liga sowie einigen Akteuren der Premier League zusammen. Neben Captain Andy Robertson vom FC Liverpool sticht das Mittelfeld mit John McGinn (Aston Villa), Callum McGregor (Celtic Glasgow) und Scott McTominay (Manchester United) hervor. Letzterer überzeugt in seiner Doppelfunktion als Ballverteiler und Torjäger. In der Qualifikation, in der Schottland das norwegische Team um Superstar Erling Haaland hinter sich liess, war McTominay für sieben der 17 Tore verantwortlich.

"Uns ist bewusst, dass Schottland über ein sehr gutes Mittelfeld verfügt", sagte Michel Aebischer. Für den Mittelfeldspieler, der gegen Ungarn mit einem Tor und einem Assist überzeugte, ist daher besonders wichtig, "in diesem Bereich früh die Kontrolle zu erlangen". Das ist den Deutschen im Auftaktspiel hervorragend gelungen.

Wann standen sich die Teams zuletzt gegenüber?

Das letzte Aufeinandertreffen der Schweiz und Schottland liegt bereits über 18 Jahre zurück: Am 1. März 2006 - im Rahmen der Vorbereitung auf die WM in Deutschland - gewannen die Schweizer das Testspiel in Glasgow 3:1. Zehn Jahre zuvor gab es bereits ein EM-Duell zwischen den beiden Teams. 1996 in Birmingham siegten die Schotten im dritten Gruppenspiel gegen die von Artur Jorge trainierten Schweizer 1:0. Das Weiterkommen verpassten jedoch beide Mannschaften; England und die Niederlande zogen in die K.o.-Phase ein.

Die Gesamtbilanz gegen Schottland ist negativ. 16 Mal standen sich die Nationalmannschaften bisher gegenüber. Die Schweiz gewann nur fünf Spiele, Schottland acht.

Wie qualifiziert sich die Schweiz vorzeitig für die K.o.-Phase?

Die Schweiz ist vorzeitig für die Achtelfinals qualifiziert, wenn sie gegen Schottland erneut drei Punkte holt und Ungarn gegen Deutschland nicht gewinnt. Dieses Duell wird unmittelbar vor dem Schweizer Spiel um 18.00 Uhr in Stuttgart ausgetragen. In diesem Fall ginge es im letzten Gruppenspiel gegen Deutschland noch um Platz eins und zwei.

Auch bei einem Überraschungssieg der Ungarn wäre der Schweiz bei einem Erfolg gegen Schottland die Achtelfinal-Qualifikation nur theoretisch zu nehmen. Es qualifizieren sich auch die besten vier Gruppendritten; in den letzten beiden Austragungen reichten drei Punkte und ein ausgeglichenes Torverhältnis, um sich einen dieser Plätze zu sichern.

SDA
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