«Es gibt nichts Weicheres als der Bauch einer Vogelspinne»
Seit über 30 Jahren hilft die Methode vom passionierten Zoologe Michel Ansermet bei der Überwindung der Angst vor den Krabbeltierchen.

Einmal im Monat bietet das Vivarium Aquatis in Lausanne einen Angstmanagement-Workshop an. Dort wird den Teilnehmern mit dem Verfahren der systematischen Desensibilisierung schrittweise die Angst vor Spinnen, Schlangen, Fröschen und anderen Reptilien und Amphibien genommen.
«In 30 Jahren durfte ich 870 Personen begleiten. Nur zwei oder drei davon sind mit ihrer Angst wieder nach Hause», versichert Michel Ansermet, ehemaliger Direktor des Vivariums, der diese wenig bekannte Mission im grössten Süsswasser-Aquarium von Europa leitet. In nur vier Stunden verspricht der passionierte Zoologe sozusagen Wunder.
Ist eine der häufigsten Phobien in der Bevölkerung wirklich überwindbar? Justine Liaudat und Lauriane Schott, zwei Journalistinnen von Radio Fribourg und ausgewiesene Arachnophobikerinnen, nahmen ihren Mut in beide Hände, um den Desensibilisierungsworkshop zu testen. Hier ist ihre Selbsterfahrung:
Mythen beseitigen
In einem ersten Schritt wird der Ursprung der Angst identifiziert. Es werden auch Legenden widerlegt rund um Spinnen. «Nein, sie springen nicht in Gesichter. Nein, sie dringen nicht in Körperöffnungen ein. Und nein, die 980 gezählten Spinnenarten in der Schweiz beissen nicht», verpflichtet Michel Ansermet. Diese Vorstellungen wurden hauptsächlich durch Filme und Gruselgeschichten vermittelt.
Die Spinne ist nicht das einzige Tier, das einen schlechten Ruf hat. Schlangen, aber auch Krokodile sind angstbehaftet. «In der Schweiz ist das tödlichste Tier die Biene», erklärt der Experte. «Weltweit ist es die Stechmücke, die jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen Menschen tötet, hauptsächlich durch Malaria.»
Nach der Theorie geht es weiter in die Praxis und damit in die emotionale Überwindung. Die Teilnehmenden versuchen, eine Spinne in einer Schachtel einzufangen, um sie dann in Ruhe wieder frei zu lassen. Zu viel Stress beim ersten Versuch? Michel Ansermet schlägt vor, das Handy zu zücken, um Fotos vom Spinnentier zu machen. Dadurch klammert sich das Gehirn an eine vertraute und rationale Handlung, die es ermöglicht, gelassener zu sein.
Eigene Grenzen überschreiten
Im nächsten Schritt schlägt er seinen phobischen Teilnehmenden vor, eine Winkelspinne, wie man sie oft im Keller oder Estrich antrifft, anzufassen, um sie krabbeln zu lassen.
Sobald dieser Schritt gemeistert ist, geht die Sitzung mit einem ganz besonderen Gast in die letzte Runde: Emilia, eine mexikanische Vogelspinne. «Sie ist sehr berührungsempfindlich», betont Michel Ansermet. «Das ist aber kein Grund zur Panik: es gibt nichts Weicheres als der Bauch einer Vogelspinne». Fast ohne zu zögern, öffnen wir Journalistinnen unsere Hände: Bahn frei für Emilia! Diese irrationale Angst vor einer «Bestie» weicht schnell der echten Bewunderung für diese anmutige Spinne.
Eine Spinnenangst zu überwinden, so exotisch das Tierchen auch sein mag, schärft das Bewusstsein für den Artenschutz. Michel Ansermet fasst seine Philosophie mit einem Spruchzusammen: «Kennenlernen, um sich anzunähern. Sich annähern, um zu berühren. Berühren, um zu schützen.»
Tipp: die Lektion vom Aquatis sollte zu Hause und in der Natur regelmässig praktiziert und wiederholt werden, um die Spinnenphobie ein für alle Mal loszuwerden.