"Die Situation in Brienz erinnert mich an das Galterntal"

In Brienz müssen Anwohnende ihre Häuser wegen eines Felssturzes verlassen. Eine ähnliche Situation erlebte vor Jahren Nicolas Bürgisser als Oberamtmann des Sensebezirks.

Alles gesperrt in Brienz, Graubünden. © Keystone

Rund zwei Millionen Kubikmeter Fels sollen in Brienz, Graubünden, in den nächsten Wochen zu Tale donnern. Bis Freitagabend müssen daher die Brienzerinnen und Brienzer ihre Häuser verlassen. Am Freitagmittag haben die Behörden die Gefahrenstufe Rot ausgerufen. Das heisst, sobald Brienz evakuiert ist, darf niemand mehr das Dorf betreten. Das Ereignis sollte in den nächsten 4 bis 14 Tagen eintreten. Derzeit gehen die Geologen davon aus, dass es mehrere kleine Steinschläge geben wird. Die grosse Zerstörung sollte ausbleiben, jedoch können die Geologen auch das unwahrscheinlichste Szenario eines Bergsturzes nicht ausschliessen.

Erinnerungen ans Galterntal

Vor sieben Jahren musste sich auch der Sensebezirk mit einer ähnlichen Naturkatastrophe beschäftigen. Im Winter 2015/16 bewegte sich im Galterntal, auf dem Gemeindegebiet von Tafers, ein Fels sehr rasch. Der damalige Oberamtmann und heutige FDP Grossrat Nicolas Bürgisser erinnert sich. "Das Ausmass war viel kleiner als jetzt in Brienz. Trotzdem mussten auch wir damals entscheiden und ein Betretungsverbot aussprechen." 

Situation in Brienz ist ähnlich

Trotz der unterschiedlichen Dimensionen zwischen dem Wohnhaus im Galterntal und dem ganzen Dorf Brienz, sieht Nicolas Bürgisser Parallelen. Er kann sich gut in die Bündner Behörden hineinversetzen. "Die Geologen sagen, der Fels kommt. Wann er genau kommt, ist schwierig zu sagen. Was machst du dann als entscheidende Behörde? Evakuierst du sofort, heisst es, du hast überreagiert. Evakuierst du nicht und der Fels stürzt ab, gibt es erst recht Vorwürfe." Im Galterntal wohnte damals eine Familie mit Kindern im betroffenen Haus. 

Nicolas Bürgisser ist noch heute froh, ging die Evakuation damals relativ einfach vor sich.

Die Familie reagierte sehr vernünftig. Sie zog schon vor dem Winter aus, auf unsere Empfehlung hin.

Während des Winters trat dann das von Geologen prophezeite Szenario ein. Wasser in den Ritzen des Felsen gefror und dehnte sich dementsprechend aus. So bewegte sich der Fels immer schneller.

In der Nacht klingelte das Telefon

Ende April war der Bogen dann überspannt. Der Fels brach ab. "Die Polizei rief mitten in der Nacht an", erzählt Nicolas Bürgisser. "Sie sagten, das Haus sei weg und sie hätten die Familie bereits kontaktieren können. Meine Gedanken spielten sofort verrückt. Einerseits war ich betroffen, da das Haus zerstört wurde. Andererseits aber auch glücklich, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten." Am Morgen fuhr Bürgisser sofort ins Galterntal. Das Ausmass wurde sichtbar. 

Sein Haus mit seinen persönlichen Gegenständen und den Erinnerungen zu verlieren, tut weh.

Dass die Familie bis zum Schluss damit gerechnet hatte, wieder in ihr zu Hause zurückzukehren, zeigte sich auch dadurch, dass die Helfenden unter den Trümmern Kleider, Geschirr oder das Sofa fanden. 

Heute erinnert fast nichts mehr daran, dass vor acht Jahren an entsprechender Stelle noch Menschen wohnten. Die Natur hat sich das Grundstück weitestgehend zurückgeholt. Die Familie wurde entschädigt und zog weg.

RadioFr. - Ivan Zgraggen
...