Frauen im Iran: Die Moralpolizei ist zurück

Es ist glühend heiss in Teheran, viele Frauen tragen offene Haare oder luftige Kleider. Vor einem Jahr wäre das noch undenkbar gewesen in der Islamischen Republik Iran.

Frauen mit und ohne Kopftuch auf einer Strasse in der Hauptstadt Teheran. Foto: Arne Bänsch/dpa © Keystone/dpa/Arne Immanuel Bänsch

Nach den Aufständen im Herbst ignorieren immer mehr Frauen die strengen Kleidungsvorschriften, auch als Zeichen des stillen Protests.

"Am Anfang habe ich mich gefürchtet, als ich das erste Mal ohne Kopftuch nach draussen gegangen bin. Jetzt nicht mehr", erzählt Mina an einem heissen Juliabend in der Millionenstadt. Gleich am Tag der Rückkehr der berüchtigten Sittenwächter der iranischen Polizei wurde die Frau, die eigentlich anders heisst, mit ihrer Freundin das erste Mal seit Monaten wieder verwarnt. Rund zwei Wochen ist das her.

Ausgelöst vom Tod der jungen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini, die von jener Moralpolizei festgenommen worden war, brachen im Herbst 2022 die schwersten Proteste seit Jahrzehnten los. Der Staat ging rigoros dagegen vor und liess sieben Demonstranten hinrichten. Zwei iranische Journalistinnen stehen an diesen Tagen wieder vor Gericht. Nilufar Hamedi und Elaheh Mohammadi waren unter den ersten, die über den Tod Aminis berichtet hatten. Irans Geheimdienst wirft ihnen Staatsverrat vor, seit mehr als 300 Tagen sind sie nun in Haft. Ein gefürchteter Richter, Abolghassem Salawati, der in der Vergangenheit zahlreiche Todesurteile gegen Demonstranten verhängte, soll das Urteil sprechen. Noch ist unklar, wann das sein soll.

Von drohenden Konsequenzen wollen sich viele Frauen nicht mehr einschüchtern lassen. "Sie haben verstanden, dass wir keine Angst mehr haben", sagt Mina. Und es sind nicht nur Iranerinnen, die wie im Herbst für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen. Vereinzelt sind Männer zu sehen, die Shorts tragen und damit ebenfalls gegen die islamischen Kleidungsregeln verstossen. Mina erzählt von Bekannten, die heute entschieden eingreifen würden, wenn Sittenwächter Frauen kontrollieren. "Eine Gesellschaft, die sich einmal in Bewegung gesetzt hat, macht keinen Schritt zurück mehr", sagt die 34-Jährige.

In vielen Einkaufszentren wohlhabender Gegenden sind die Gegensätze sichtbarer denn je. Entweder tragen Frauen gar kein Kopftuch - oder verhüllen sich strenger. Locker sitzende Hidschabs auf dem Hinterkopf wie zu früheren Zeiten sind selten geworden. Fern der Grossstädte und in traditionellen Gegenden wird die Kopftuchpflicht mehr eingehalten.

Viele Iranerinnen und Iraner hatten erwartet, dass die Moralpolizei früher oder später wieder patrouilliert. Doch scheinen die Sittenwächter, die Frauen mit schlecht sitzenden Kopftüchern oder besonders auffälliger Kleidung früher auf die Wache brachten, deutlich vorsichtiger vorzugehen. Konservative Hardliner drängen seit Monaten auf ein strengeres Vorgehen gegen die zahlreichen Verstösse.

Der renommierte Reformpolitiker Abbas Abdi vermutet, dass die Rückkehr der Sittenwächter mit dem nahenden Jahrestag der Proteste zusammenhängt. Der Staat wolle den gesellschaftlichen Veränderungen nicht nachgeben, sagt der Intellektuelle. "Wenn die Zahl der Frauen ohne Hidschab in den Städten zunimmt, ist es ein Symbol gegen die Regierung oder das System." Das Kopftuch gehöre zur Identität der Islamischen Republik.

Mina sagt: "Für die Islamische Republik ist das Kopftuch das fundamentalste Kontrollinstrument." Die 34-Jährige lebt alleine, auch das galt früher in traditionellen Kreisen als ungewöhnlich. Als erfolgreiche Frau, die Karriere gemacht hat, will sie selbstbestimmt leben. "Es ist doch klar, dass ich dann meine eigenen Entscheidungen treffen will, auch was ich anziehe."

Infolge der Islamischen Revolution gilt bereits seit mehr als 40 Jahren im Iran die Kopftuchpflicht. Mina, wie viele andere Frauen und Männer in ihrem Alter, sind als Kinder der damaligen Revolutionäre mit viel strengeren gesellschaftlichen Regeln aufgewachsen. Oft schauen sie mit Bewunderung auf die junge Generation, die mit dem Internet gross geworden ist und sich nichts mehr sagen lassen will.

Kimia gehört mit ihren 18 Jahren zur sogenannten Generation Z. Mit ihren Freundinnen picknickt sie an einem Sommerabend mit Blick auf die Metropole. Niemand trägt hier Kopftuch. Die Ankündigung, dass die Kontrollen nun wieder verschärft werden sollen, hat sie nicht beunruhigt. "Selbst wenn wir die Polizei oder Sittenwächter auf den Strassen sehen, setzen wir kein Kopftuch auf", sagt die junge Frau. "Wir versuchen ganz mutig an ihnen vorbeizugehen, weil es unser natürliches Recht ist, uns zu kleiden, wie wir wollen."

SDA
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