Grenzerfahrungen zum Saisonauftakt

Die neue Saison im Fri-Son steht ganz im Zeichen des 40-Jahr-Jubiläums. Den Auftakt macht diesen Freitag "Boderline Experience" mit diversen Formen hiesigen Musikschaffens.

Am Freitag, 8. September wird dem Publikum im Fri-Son ein facettenreicher Konzertabend über Stilgrenzen hinweg geboten. © Fri-Son

"Borderline Experience" - zu Deutsch etwa Grenzerfahrung – vereint am Freitag, 8. September Musikschaffende und Freiburger Institutionen, die sonst selten gemeinsam auf der Affiche eines Konzertabends stehen. Von klassischen Musikformen, über populäre Stile, bis hin zu experimentelleren Sounds, wird dem Publikum ein breites Spektrum an Klangarten jetzigen Musikmachens geboten und vor allem mögliche Schnittmengen angezeigt. Aber nochmals von vorn.

Im Jahr 2020 fragte Benedikt Hayoz als Dirigent der Landwehr den Freiburger Jazz-Pianisten Stefan Aeby an, ob er für ein gemeinsames Konzert im Rahmen der Schubertiade 2022 den Liederzyklus Winterreise von Franz Schubert neu interpretieren möchte. Das Konzert fiel jedoch wegen eines Armbruchs von Aeby ins Wasser. Im Fri-Son soll nun das Werk mit dem Titel "Borderline Experience" dem Publikum präsentiert werden. Daher also der Titel des Abends. Auf Wunsch der Verantwortlichen des Fri-Son haben Hayoz und Aeby noch weitere hiesige Projekte und Institutionen ins Abendprogramm aufgenommen, "die zwar stilistisch sehr unterschiedlich sind, über den Abend hinweg zusammen aber sehr gut funktionieren", so Stefan Aeby.

Die Projekte

Die musikalische Grenzerfahrung beginnt am Freitagabend im Fri-Son mit dem Konzert der Landwehr zusammen mit Stefan Aeby und der Freiburger Mezzo-Sopranistin Annina Haug. Dass das offizielle Blasorchester des Kantons und der Stadt Freiburg solche Projekte mitträgt, ist spätestens seit der Übergabe des Dirigentenstabs an Benedikt Hayoz im Januar 2018 keine Seltenheit. So hat die Landwehr in den letzten Jahren beispielsweise eine Tour durch Indien mit der Freiburger Kathak-Tänzerin Gauri Priscilla Brülhart bestritten oder ist bereits mehrmals zusammen mit der Rock-Combo The Young Gods aufgetreten. Auch Stefan Aeby hat sich und sein facettenreiches Klavierspiel in den letzten Jahren mit sehr unterschiedlichen Projekten verbunden und neue Kontexte erspielt. Am Freitag wird Aeby zusammen mit Haug und der Landwehr den Abend in der Mitte des grossen Saals im Fri-Son mit seiner Version von Schuberts Winterreise eröffnen. Getreu dem Titel "Borderline Experience" ist sowohl der Inhalt des Stücks, als auch die Vermengung der verschiedenen musikalischen Soundwelten eine Gratwanderung. "Jazz hat eine gewisse Stilistik, die Landwehr ist ein grosses Orchester. Die interessante Frage war, wie man diese Klänge verbindet", erläutert Benedikt Hayoz.

Auch Aebys Instrumentenwahl, ein Yamaha CP70, eine Art E-Flügel aus den 70er-Jahren, dürfte der Sache einen eigenen Sound verleihen. Schuberts Winterreise ist bereits 200 Jahre alt, aber laut Stefan Aeby inhaltlich noch sehr aktuell. "Es geht um eine Person, die sich alleine fühlt, orientierungslos ist und Auswege sucht. Also Themen, die spätestens seit Corona vermehrt Teil der gesellschaftlichen Realität sind."

Nicht der Stil, sondern der Ausdruck steht im Zentrum

Benedikt Hayoz

Auch das Orchester der Neuen Oper Freiburg (NOF) entgrenzt sich am Freitag im Fri-Son und präsentiert Opernstücke im neuen Klangkleid. Eine Sopranistin und ein Bariton werden von elektronischen Instrumenten des Schweizer Museums für elektronische Musikinstrumente SMEM in Freiburg begleitet. "Es ist sehr interessant für uns, im Fri-Son Opern zu präsentieren und so ein etwas anderes Publikum zu erreichen", so Jérôme Kuhn, der künstlerische Leiter der NOF. Es ist nicht das erste Mal, dass die NOF unter dem Fri-Son-Dach aufführt, doch für "Borderline Experience" soll durch die Vermengung von Operngesang und Klängen der aktuellen Musik eine aussergewöhnliche Opernerfahrung präsentiert werden, wie Kuhn weiter erklärt. Die Zusammenarbeit mit dem SMEM ermöglicht es der NOF, mit neuen Klängen zu experimentieren, um zeitlose musikalische Objekte zu schaffen, die einem vielfältigen Publikum zugänglich sein können. Vielleicht weniger ein Abend für Puristinnen und Puristen, aber ein Abend voller Entdeckungsmöglichkeiten und anderen musikalischen Perspektiven.

Leandra Varga hat mit Benedikt Hayoz und Jérôme Kuhn über den Anlass gesprochen:

Überleitung zum Projekt "Vortex" des Trios Perspective Shifts zusammen mit dem Freiburger Brass-Ensemble FryBrass. Das Werk changiert zwischen ausdrucksstarken und ruhigen Passagen, zwischen feinen Bögen und lärmig-wuchtigen Sequenzen, alles vorangetrieben durch einen dominierenden Rhythmus. Die hier musikalisch evozierte Sogwirkung, oder eben Vortex, versinnbildlicht, passend zum Werk "Borderline Experience", das individuelle Empfinden der turbulenten Gegenwart, die durch einen multilateralen Strukturwandel gezeichnet ist. "Wir hatten als Perspective Shifts trotz vielen experimentellen oder auch lärmigen Sounds immer ein wenig den Hang zum Epischen. Die Zusammenarbeit mit FryBrass entlockt beiden Formationen neue Klänge, die sich zu einem gemeinsamen Ganzen verbinden", erklärt Manfred Jungo von Perspective Shifts.

Nach diesen drei grösseren Ensembles folgt das Projekt "Myéline" der Klangkünstlerin Julie Semoroz und der transmedialen visuellen Künstlerin Sophie Le Meillour. Semoroz reflektiert in ihren Klangkonstrukten, bestehend aus Field-Recordings, Mikrofonen sowie Soft- und Hardware-Elementen, über Themen wie Gesellschaft und neue Technologien. Zwischen organischen und artifiziellen Elementen changiert auch Sophie Le Meillour in ihrer Kunst. Am Freitag präsentieren die beiden im Fri-Son mit "Myéline" eine audio-visuelle Performance, die Netzhaut und Trommelfell auf aussergewöhnliche Weise stimuliert.

Zum Abschluss der "Borderline Experience" präsentiert die Freiburger Künstlerin Fiona Rody aka Noria Lilt ein DJ-Set, "eine stilistische Achterbahnfahrt von experimenteller bis hin zu Club-Musik", so die Künstlerin. Ein vielfältiges Set also, mit unterschiedlichen Genrebewegungen, Texturen und Rhythmen, was einerseits die Vielfalt des Abends paraphrasiert, aber auch den Hörflug am Schluss auf der Tanzfläche erdet.

Beidseitiger Reiz

"Lässt man sich nicht von Schubladen und Etiketten abschrecken, gibt es sehr viel Spannendes zu entdecken", meint Stefan Aeby. Dies gilt sowohl für die Musikschaffenden, als auch für das Publikum. "Es ist immer bereichernd, in neuen Kontexten zu spielen. Sei es, dass eine Landwehr oder die NOF in einem Fri-Son spielt, oder dass sich aktuelle Musik mit klassischen Stilen vermengt. Weiter kann man viel Neues ausprobieren und neue Formen des Ausdrucks und der musikalischen Beweglichkeit kennenlernen", so Manfred Jungo. Solche Anlässe, die teils sehr verschiedene Stilistik und Publika vereint, birgt für die Musikschaffenden auch die Chance "Wissen weiterzugeben und Netzwerke auszutauschen, aber vor allem ist es auch ein Beweis von Zugänglichkeit und Inklusivität", wie Fiona Rody erläutert. Für das Publikum verspricht der Abend kommenden Freitag im Fri-Son sicherlich viele individuelle Überraschungen, die sehr gefallen können oder auch weniger dem persönlichen Geschmack entsprechen. Der Reiz von Anlässen wie "Borderline Experience" liegt in der Möglichkeit, viel Neues zu entdecken, vielleicht ein wenig verblüfft zu werden und Musik zu hören, von der man gar nicht wusste, dass sie einem gefällt.

Borderline Experience: Landwehr mit Benedikt Hayoz, Stefan Aeby & Annina Haug, Neue Oper Freiburg NOF & SMEM, Perspective Shifts & FryBrass, Julie Semoroz & Sophie Le Meillour, Noria Lilt.

Freitag 8. September 2023

Türöffnung 19:30 Uhr

Infos & Tickets hier

40-Jahr-Jubiläum des Fri-Son:

Über das ganze Jahr hinweg organisiert das Fri-Son eine Serie von Jubiläumsveranstaltungen. Dazu werden Acts und Projekte eingeladen, welche die Geschichte des Fri-Son mitgeprägt haben.

RadioFr. - Redaktion / vb
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