Magischer Messi lässt Argentinien träumen

Argentinien steht zum sechsten Mal im WM-Final. Lionel Messi ist die prägende Figur und spielt so stark wie lange nicht mehr. Nach 2014 hat er am Sonntag die zweite Chance, seine Karriere zu krönen.

Lionel Messi wurde in Katar zu Argentiniens Rekordtorschütze an einer WM © KEYSTONE/AP/Natacha Pisarenko

Plötzlich geht sie auf, die Tür zum grossen Presseraum im Untergrund des Lusail Iconic Stadium. Knapp vierzig Minuten sind da erst vergangen seit dem Schlusspfiff zwischen Argentinien und Kroatien, der den sechsten Einzug der Südamerikaner in einen WM-Final besiegelte. Durch die Tür läuft Lionel Messi, der bereits zum vierten Mal in diesem Turnier zum Spieler der Partie gewählt worden ist. Der Zeitpunkt seines Erscheinens sorgt bei einigen Anwesenden für Verwunderung, denn nach den anderen Partien, in denen der 35-Jährige die rote MVP-Trophäe hatte entgegennehmen können, waren jeweils gut zwei Stunden verstrichen, ehe Messi auf dem Podium Platz nahm.

Keiner kreiert mehr

Beim 3:0 gegen sehr defensiv eingestellte Kroaten verwertete Messi nach einer guten halben Stunde einen Penalty, später legte er nach einem starken Dribbling gegen mehrere Gegenspieler auf für Julian Alvarez, der mit seinen 22 Jahren zum jüngsten Doppeltorschützen in einem WM-Halbfinal oder -Final seit Pelé 1958 avancierte. An dieser Weltmeisterschaft hat sich Messi dank seiner fünf Treffer nicht nur zum argentinischen WM-Rekordtorschützen gemacht und Gabriel Batistuta überholt, sondern er hat immer wieder seine Mitspieler in Szene gesetzt mit Pässen, die wohl nur er zu spielen im Stande ist. Wie im Viertelfinal gegen die Niederlande beim Führungstreffer durch Nahuel Molina.

Messis prägende Rolle für dieses argentinische Team belegen auch Statistiken: Kein Spieler hat in Katar bisher mehr aufs Tor geschossen (14 Mal), keiner hat einen höheren Wert an erwarteten Toren (4.75) und keiner hat mehr Chancen kreiert (18). Und als erster Spieler überhaupt verbuchte er seit der detaillierten Datenerfassung (seit 1966) in drei WM-Partien je ein Tor und eine Vorlage.

Image abgestreift

Ob dies seine bisher beste WM sei, wird der Offensivakteur von Paris Saint-Germain an der Pressekonferenz gefragt. Messi lobt die Mitspieler und will sich nicht noch mehr in den Fokus rücken, als er es durch seine Leistungen auf dem Feld eh schon ist. "Ich fühle mich wirklich gut", sagt er. "Und ich geniesse es." Messi bestreitet in Katar seine fünfte WM, zum zweiten Mal nach 2014 in Brasilien und dem 0:1 gegen Deutschland steht er mit Argentinien nun im Final. Er weiss, dass die Beurteilung dieses Turniers unweigerlich damit zusammenhängen wird, was am Sonntag wiederum in Lusail passiert. Der siebenfache Gewinner des Ballon d’Or ist in Argentinien, wo bei sommerlichen Temperaturen die Menschen derzeit zu Tausenden die Strassen säumen, wenn die "Albiceleste" spielt, der grosse Hoffnungsträger.

Das war Messi aufgrund seiner aussergewöhnlichen Fähigkeiten immer. Über lange Zeit haftete ihm aber auch das Image an, nur auf Klubebene erfolgreich sein zu können, nicht aber, wenn er das hellblau-weiss gestreifte Trikot der Nationalmannschaft überstreift. Nach dem verlorenen Final der Copa América 2016 gegen Chile, als Messi seinen Penalty übers Tor gesetzt hatte und anschliessend mitverantwortlich für die Erfolglosigkeit des Teams gemacht worden war, erklärte Messi den Rücktritt aus dem Nationalteam. Nur knapp zwei Monate revidierte er seinen Entscheid und kehrte zurück. Spätestens seit dem Gewinn der Copa América 2021, dem ersten Titel in der Südamerikameisterschaft seit 1993, hat er das Loser-Image abgestreift und steht in der Gunst der Fans unverrückbar zuoberst.

Unterstützung von oben

Messi lässt Argentinien träumen - und die Fans nach Katar strömen. Kein Team dürfte an dieser WM mehr Menschen mobilisiert haben als die Argentinier. Die Sehnsucht nach dem dritten WM-Titel nach 1978 und 1986 ist riesig und manifestiert sich nirgends so schön wie im Lied "Muchachos" der argentinischen Band La Mosca, das zur inoffiziellen Hymne geworden ist und überall gesungen wird. In der topmodernen Metro, auf dem Souq Waqif in Dohas Zentrum - sogar in der Wüste im Süden, zwischen Kamelritt und Dünenbashing, scherbelt der Song bei einem Foto-Halt aus tragbaren Boxen. "Leute, machen wir uns wieder Hoffnungen. Ich will den dritten Titel gewinnen. Ich will Weltmeister werden", heisst es im Lied. "Wir können sehen, wie Diego [Maradona] und La Tota [Maradonas Mutter] Lionel vom Himmel aus anfeuern." Messi hat bereits angekündigt, dass der WM-Final sein letztes Spiel für Argentinien sein wird. Es soll ihm die Krönung seiner beispiellosen Karriere bringen.

SDA
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