"Man muss auch mit den Schlimmsten zusammenarbeiten"

Malaria, Mord und Machtgefälle: Wie der Sensler Biologe Thierry Aebischer in Zentralafrika trotz allem ein Naturschutzgebiet aufbaut.

© RadioFr. / Tobias Brunner / zVg
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Nur für den Umweltschutz zu demonstrieren, ist zu wenig, findet Thierry Aebischer. Man muss auch bessere Wege aufzeigen, sagt der 37-Jährige aus Heitenried. So unternimmt er vor gut zehn Jahren eine Forschungsreise in ein Gebiet, wo sich sonst kaum jemand hintraut: In die Zentralafrikanische Republik – ein Bürgerkriegsland.

Der weisse Punkt

An der Universität Freiburg, wo der damals 26-Jährige Biologie studiert, rät man ihm von seinem Vorhaben ab. Zu gross seien die Risiken und Forschungsgelder gibt es für Projekte in solchen Gebieten nicht. Doch Thierry Aebischer will unbedingt dorthin, denn schon als Kind war dies sein Sehnsuchtsort. Er habe damals gefragt, warum da auf der Landkarte im Osten von Zentralafrika ein weisser Punkt sei, erzählt sein Vater Gabriel Aebischer.

"Ich musste nachlesen und da hiess es: Unerforschtes Gebiet." Da habe sein Sohn gesagt, er wolle wissen, was dort sei. 2012 macht sich Thierry Aebischer dann an die Planung seiner Expedition, zusammen mit seinem Kollegen und Informatiker Raffael Hickisch. "Thierrys Begeisterung kann sehr ansteckend sein", sagt dieser.

Thierry Aebischer (links) und Raffael Hickisch (rechts) freuen sich über die Nachricht der zentralafrikanischen Regierung, im Osten des Lands Forschung betreiben zu dürfen und planen ihre Expedition. (zVg Thierry Aebischer)

Thierry hat für alles Interesse, was in der Natur um ihn herum passiert. Diese Begeisterung kann sehr ansteckend sein.

Raffael Hickisch, Thierry Aebischers Expeditionspartner

Die Mission der beiden: Ein Gebiet, das so gross ist wie ein Viertel der Schweiz, systematisch mit dutzenden Kamerafallen auszustatten. Das Ziel war es, herauszufinden, welche Wildtiere es dort gibt. Das Problem: In diesem menschenleeren Gebiet gibt es keine Infrastruktur.

Links: Eine aufwändige Flussquerung, um ins Forschungsgebiet zu gelangen.
Rechts: Thierry Aebischer montiert eine Kamerafalle (Daniel Wegmann / zVg)

Die Jungforscher brauchen aber zumindest Strassen, um ihre Kamerafallen, Zelte und Lebensmittel in die Zielgebiete zu bringen. Sie entscheiden sich für eine Zusammenarbeit mit Grosswildjägern, die in der Region tätig sind. Diese bauen Strassen, legen Flugpisten an und bringen die Forscher in ihre Einsatzgebiete. Für Aebischer ist es kein Widerspruch, als Natur- und Tierschützer mit Jägern zusammenzuarbeiten. Beide hätten schliesslich ein Interesse an einem nachhaltig bewirtschafteten Tierbestand.

Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) liegt im Herzen vom afrikanischen Kontinent.

Gefahren, Krisen und erste Erfolge

Die Forschung in Zentralafrika strapaziert nicht nur Thierry Aebischers Bankkonto. Sondern auch seine Gesundheit: Er erkrankt an Malaria, die unbehandelt meist tödlich endet, kriegt sie dann aber mit starken Medikamenten in den Griff. Unter der zentralafrikanischen Sonne wird es tagsüber bis zu 45 Grad heiss, bevor es in der Nacht wieder auf wenige Grad abkühlt.

Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es durch. Wenn man es versucht, geht es irgendwie – das ist sein Lebensmotto.

Gabriel Aebischer, Thierry Aebischers Vater

Neben den Mücken sind auch Löwen, Hyänen, Wilderer und bewaffnete Rebellen eine ständige Gefahr. Während zweier Forschungsreisen von je drei Monaten laufen den Jungforschern überraschend viele Wildtiere vor die Linsen: Bedrohte Elefanten, seltene Antilopen und sogar Arten, die vor Ort als ausgerottet gegolten hatten, so wie der Afrikanische Wildhund. Aus Sicht der Wissenschaft sind die Entdeckungen spektakulär.

Links: Thierry Aebischer neben einer Elenantilope im Chinko-Projekt.
Rechts: Afrikanische Wildhunde (Gabriel Aebischer / zVg)

Dass sein Sohn sein Vorhaben trotz vieler Hürden in die Tat umsetzen würde, war für den Vater Gabriel Aebischer klar: "Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es durch. Wenn man es versucht, geht es irgendwie – das ist sein Lebensmotto."

Vor Ort wird jedoch klar, dass dieses grosse, zusammenhängende Ökosystem im Osten von Zentralafrika in Gefahr ist: Wegen Konflikten und dem Klimawandel dringen Hirten aus der Sahelzone immer weiter in das System ein. Ihre riesigen Rinderherden übertragen Krankheiten auf lokale Wildtiere und übernutzen die Landschaft.

Die Gründung des Chinko-Projekts

Thierry Aebischer beschliesst, ein Projekt ins Leben zu rufen, mit dem Wildtiere geschützt werden sollen, was schliesslich auch der lokalen Bevölkerung zugute kommen soll. Zusammen mit seinem Expeditionspartner Raffael Hickisch, mit dem Piloten David Simpson und dem Grosswildjäger Eric Mararv gründet er 2013 das Chinko-Projekt. Seinen Namen hat das Projekt vom Fluss, der durch das Gebiet fliesst.

Die Kocho-Basis im Chinko-Projektgebiet (Gabriel Aebischer / zVg)

Ziel des Projekts ist, ein Gebiet mit einer Kernzone von 6'000 Quadratkilometern komplett unter Schutz zu stellen, darin Wildtierbestände zu erhalten und ausgerottete Arten wie Nashörner und Giraffen wieder zurückzubringen. Kurz nach der Gründung des Chinko-Projekts ist das aber alles noch Theorie und die Wildtierbestände gehen weiter zurück.

Sie unterstützen Thierry Aebischer schon lange: Die Eltern Angela Aebischer und Gabriel Aebischer (links)
und Prof. Daniel Wegmann (rechts), der Thierry Aebischers Chinko-Projekt von Anfang an begleitete. (Tobias Brunner)

Ausserdem sind die Folgen des Bürgerkriegs spürbar: Ganz in der Nähe des Chinko-Gebiets werden Menschen getötet. Der Chinko-Mitgründer und Pilot David Simpson wird mehrere Monate in ein Gefängnis gesteckt, weil er den Fund verstümmelter Leichen meldet und fälschlicherweise für das Massaker beschuldigt wird.

Ich fragte mich manchmal, ob Thierry noch lebt. Er sagte mir immer, keine Nachricht sei eine gute Nachricht.

Angela Aebischer, Thierry Aebischers Mutter

"Das waren schon sehr kritische Ereignisse", sagt Gabriel Aebischer. Sein Sohn habe immer erst im Nachhinein von solcherlei Vorkommnissen erzählt. Und Angela Aebischer erinnert sich, sie habe sich früher immer wieder mal gefragt, ob ihr Sohn noch lebe, als sie wochenlang nichts von ihm hörte. Dieser sagte jeweils: "Keine Nachricht ist eine gute Nachricht."

Partnerschaft, Ranger, Vergrösserung

Die Situation rund um das Chinko-Projekt verbessert sich dann im Jahr 2014. Das Projekt erhält Unterstützung von "African Parks", einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Südafrika. Die zentralafrikanische Regierung gewährt "African Parks" das Recht, das Chinko-Projektgebiet zu verwalten.

Der ehemalige Wilderer Ndondondo Bienvenu (links) wurde von Thierry Aebischer (rechts) überzeugt, für das Chinko-Projekt als Ranger tätig zu werden. (Thierry Aebischer / zVg)

Es werden lokale Ranger trainiert, die gegen Eindringlinge und Wilderer vorgehen – auch bewaffnet. Die Zahl der Wildtiere steigt stetig, während es weniger Wilderer werden. Im Jahr 2020 kann das Chinko-Projektgebiet vergrössert werden: Die geschützte Kernzone ist mit neu gut 20'000 Quadratkilometer rund halb so gross wie die Schweiz.

Ein grosser Erfolg für Thierry Aebischer, der in einem Gebiet für den Naturschutz zuständig ist, das neu doppelt so gross ist wie die Schweiz. Das Chinko-Projekt gibt 400 lokal ansässigen Menschen Arbeit und ist ausserhalb der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui landesweit der grösste Arbeitgeber.

Es gibt sehr wenige Leute, die am Morgen aufstehen und die Welt kaputtmachen wollen. 

Thierry Aebischer

Kompromisse, Opportunismus und der "Pakt mit dem Teufel"

Um das Chinko-Gebiet zu schützen, ist Thierry Aebischer zu vielem bereit: Er würde gar mit einem grossen Ölkonzern zusammenspannen, wenn er dadurch einen besseren Zugang zu Treibstoffen hätte. Denn Diesel und Flugbenzin seien im Osten von Zentralafrika nicht immer verfügbar, was ein grosses Problem sei. Die Treibstoffe braucht es, um in der Basis Strom zu erzeugen, um über weite Distanzen zu kommunizieren und um das riesige Gebiet mit Helikoptern und Kleinflugzeugen zu überwachen.

Ein Mitarbeiter des Chinko-Projekts (links) und Thierry Aebischer (rechts).
Im Chinko-Gebiet finden auch Jagdsafaris statt. (Gabriel Aebischer / zVg)

 Ich versuche, etwas von dem zurückzugeben, was ich in der Schweiz erfahren und lernen durfte.

Thierry Aebischer

Thierry Aebischer glaubt nicht an das Muster von Gut und Böse. "Es gibt sehr wenige Leute, die am Morgen aufstehen und die Welt kaputtmachen wollen", sagt er. Darum findet er, man müsse immer auch mit den "dreckigen Unternehmen" vor Ort zusammenarbeiten und ihnen bessere Wege aufzeigen.

Neben seiner grossen Faszination für Natur und Biologie, gibt es noch weitere Gründe, warum er sich weit weg von seiner Familie teils grossen Gefahren aussetzt. "Ich versuche, etwas von dem zurückzugeben, was ich in der Schweiz erfahren und lernen durfte." Nicht alle schmiedeten ihr eigenes Glück – besonders schwierig sei es für die Menschen in der Zentralafrikanischen Republik, eines der ärmsten Länder der Welt. Und Naturschutz mache man nicht nur für irgendeine Art, sondern primär für den Menschen.

Thierry Aebischer geht es um Gerechtigkeit. Ein wichtiger Schritt dahin ist für ihn, dass die lokale Bevölkerung auch im Chinko-Projekt baldmöglichst mehr Verantwortung übernehmen kann. "Junge Zentralafrikanerinnen und Zentralafrikaner übernehmen das Zepter hier in naher Zukunft", so Aebischer.

Aus dem Chinko-Projekt soll bald schon ein Nationalpark werden. Thierry Aebischer (5. v .l.) hat der zentralafrikanischen Regierung und der EU im November 2023 seinen Landnutzungsplan für das Projekt vorgestellt. (Irene Galera / zVg)
RadioFr. - Tobias Brunner
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