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Probieren und sinnieren auf dem Whiskytrain 2023

Vergangenes Wochenende fand die 15. Ausgabe des Whiskytrain statt. Wir sind mitgefahren.

Jeweils rund 500 Personen haben am Samstag und Sonntag am Whiskytrain teilgenommen. © RadioFr.

An diesem Aprilsamstag liegt Murten unter einem grauen Baldachin mit leichtem, aber stoischem Regen, und schaudrigen Windhieben. "Endlich haben wir einmal schottisches Wetter", sagt der Initiator des Whiskytrains Christof Dennler in seiner Ansprache zur 15. Ausgabe der Schlemmerfahrt.

Die Bag-Pipers of Wangen an der Aare im Einsatz.

Ich trotze dem Nassgrau, lausche den Bag-Pipers of Wangen an der Aare, die für die musikalischen Intermezzi aufgeboten wurden, und zähle irische Bérets, Schottenröcke, Zylinder, Tweed-Anzüge und sonstige Kluft, die sich die rund 500 Gäste passend zum Reisevehikel zurecht gelegt haben. Pünktlich pfeift und dampft die Lok mit Jahrgang 1911 im Bahnhof Murten ein und wir steigen die paar Metallstufen hoch in die alten Waggons.

Zweite Klasse, meist Viererplätze mit schön gedeckten Tischen, inklusive kubanischer Willkommenszigarre und obligatem Tulpenglas für die Whisky-Degustation. Mit uns am Tisch sitzt ein nettes älteres Pärchen, das den Ausflug als Geschenk erhalten hat. Ein Pfiff, ein Ruck, das langsam schneller werdende Schnauben der Dampflok - allein schon akustisch eine Zeitreise. Zu jedem der vier Menügänge wird ein passender Whisky serviert. Etwas zu viel für die Geschmacksrezeptoren von Madame an unserem Tisch. Sie fragt nach Weisswein, Monsieur liebäugelt mit der kubanischen Tube.

Während der Fahrt wird ein Vier-Gänge-Menü mit passendem Whisky serviert.

Nach der ersten Runde Schmaus und Schluck starten wir zur ersten Erkundungstour durch den Zug. Wir treffen in den heimeligen alten Waggons auf Fans schottischer Kultur in entsprechender Kleidung, auf Whisky-Afficionados, die ihre Nasen genüsslich in die Tulpengläser hängen, auf ferrophile Hobbyingenieure, die über Kolben und Kurbeltrieb fachsimpeln, Dandys in flamboyantem Zwirn und einer bunten Mischung an Mitreisenden, die sich, zum ersten oder zum wiederholten Male, vom Konzept Whiskytrain haben überzeugen lassen. "Wir waren noch nie mit dabei und sind vor allem wegen der tollen Auswahl an Whiskys hier," meint Raphael Kaeser aus Schmitten, der mit seinem Bruder Manuel den Bar-Waggon entdeckt hat. "Im Ensemble mit dem historischen Zug und dem Essen ist das hier ein tolles Erlebnis," ergänzt Manuel.

60 Whiskys standen den Gästen zur Degustation bereit.

Die Degustation will wohl überlegt sein. 60 Whiskys aus Schottland, Irland, den USA, oder auch Japan, Australien und der Schweiz warten auf schmeckende Münder. Eine Broschüre dient als Orientierungshilfe durch das breite Spektrum an Geschmacksnuancen von floral, würzig, holzig, über maritim oder salzig, bis torfig, sämig mit Noten von Lagerfeuer und Räucherspeck. "Die Geschmäcker sind verschieden und wir versuchen, den passenden Whisky für jeden Gast zu finden oder zeigen, was der Person eventuell noch munden könnte", erklärt Mathias Marti, sonst Kommentator bei MySports, auf dem Whiskytrain aber schon seit rund zehn Jahren für den Ausschank zuständig. Er suche selbst immer spezielle Tropfen für seine heimische Bar und tropft uns dabei 1cl Michter's Bourbon in unsere Tulpen. Bourbon ist eine ursprünglich nur in  Kentucky gebrannte Variante des amerikanischen Whiskeys. Im Unterschied zu den ausschliesslich aus Gerste hergestellten schottischen Whiskys, wird für Bourbons eines Getreidemischung mit mindestens 51 Prozent Mais verwendet. "Viele Expertinnen und Experten verschmähen teilweise Bourbons und fokussieren sich ausschliesslich auf Schottische Single Malts, aber dieser Michter's hat spezielle Noten", so Marti.

Neben uns schnüffeln englischsprachige Herren an einem Port Charlotte aus der Schottischen Islay Region, deren Destillerien rauchig-torfige Tropfen produzieren, die Expertennasen zum flattern bringen. Der Bar-Waggon ist nach kurzer Zeit rappelvoll. Eine deutsche Dame erkundigt sich über einen Whisky, der in japanischen Sake-Fässern gelagert wurde, ein Passagier aus der Freiburger Unterstadt stört sich am Geschmack eines Australischen Whiskys und eine Gruppe aus Zürich stösst mit Passagieren aus diversen Kantonen auf die Gesundheit und auf Freiburg-Gottéron an. "Mittlerweile kennt man sich hier. Es ist immer wieder ein tolles Erlebnis", meint Mario Thossy, der ursprünglich aus Liebistorf stammt und zum vierten Mal teilnimmt.

Fachkundige Beratung im Bar-Waggon.

Nächster Halt: Yverdon-les-Bains. Auf der siebenstündigen Rundfahrt durch die Dreiseenregion sind drei Zwischenstopps eingeplant. Auch die Lok hat Durst und muss nebst Yverdon auch in Neuenburg und Biel Wasser tanken, um genügend Dampf für den Antrieb generieren zu können. Wir vertreten uns die Beine und suchen unter den Gästen nach den Motiven für die Teilnahme am Whiskytrain. "Dieses Wasser des Lebens ist eine feine Sache", meint Thomas Boschung aus Düdingen, "aber dieses Erlebnis hat auch viel mit Nostalgie zu tun und dass man sich Zeit nimmt, zusammen etwas auszuprobieren, darüber zu diskutieren und die Fahrt zu geniessen". Die Zeit fühlt sich während der Fahrt anders an. Verdichtung des Augenblicks? Momentum? Ethanolbedingte Wahrnehmungsverzerrung? Vielleicht ein Mix aus allem oder einfach ein nicht alltägliches Spektakel.

Kurz vor Weiterfahrt beobachten wir ein Lademanöver, bei welchem diverse Boxen vom Perron in die Waggons gehievt werden. "Beim Zwischenstopp wird der Zug mit dem nächsten Menügang beladen, damit die Gäste immer frisches und warmes Essen auf dem Teller haben," erläutert Julie Blanc vom Cateringunternehmen Gourmetbox GmbH, das seit mehreren Jahren den Whiskytrain mit Essen beliefert. Im Menü finden sich auch thematisch passende Spezialitäten aus der schottischen Küche, wie beispielsweise eine Art Gersteneintopf. Zusammen mit dem passenden Whisky eine kulinarische Erfahrung unterschiedlicher Aggregatzustände dieses Getreides, worüber wir uns, zurück am Tisch, im Fachsimpeln versuchen. Das ältere Pärchen hat mittlerweile Wein organisiert. Monsieur interessiert sich für die historische Lok, Madame für das Interieur und die vorbeiziehende Landschaft, beide loben das Essen und die netten Leute. Whiskytrinken auf dem Whiskytrain ist keine Pflicht. Es besteht auch die Möglichkeit, Zigarren zu quarzen, diverse Käsesorten zu probieren oder sich Szenen auszumalen, die sich irgendwann vielleicht in diesen alten Waggons ereignet haben könnten.

Unterwegs mit dem Whiskytrain durch die Dreiseenregion.

Nach dem nächsten Zwischenhalt in Neuenburg, führen wir unsere Entdeckungsreise durch die verschiedenen Abteile fort, müssen zwischendurch die Neigung des Zuges ausbalancieren und landen in den recht mondänen Salons der ersten Klasse. Mit einem Preis von CHF 390.- kostet das Ticket für die erste Klasse 60.- mehr als für die zweite Klasse. Ein etwas teurer Spass, wobei vor allem diejenigen Gäste auf ihre Kosten kommen, welche sich fleissig durch die 60 Whiskys probieren und diese auch gut vertragen. Zuständig für den Whiskyausschank in der ersten Klasse ist unter anderem Helfer Jan, der zum ersten Mal mit an Bord ist. "Ich habe sechs Jahre in der Gastronomie gearbeitet und bin heute für die SBB tätig. Der Whiskytrain ist quasi die Schnittstelle." Er ist einer von 40 Helferinnen und Helfern, die jedes Jahr die Gäste betreuen. "Für sie sind es zwei harte Tage, aber alle sind immer top motiviert und ich bin dem Team enorm dankbar", meint Whiskytrain-Initiator Christof Dennler.

Salon-Stimmung in der ersten Klasse.

Aus einer sprichwörtlichen Schnapsidee hat sich der Whiskytrain in 15 Jahren zu einem beliebten Anlass mit rund 1000 Gästen entwickelt und ist laut Dennler mittlerweile der grösste Whisky-Event dieser Art in Europa. "Wir hätten niemals gedacht, das sich der Event so entwickelt. Am Anfang haben wir einfach einen Flyer erstellt und einen Preis definiert, ohne zu wissen, ob wir überhaupt einen historischen Zug mieten können", so Dennler. Der Whiskytrain ist mittlerweile ein Selbstläufer. Die Tickets sind jedes Jahr ausverkauft ohne eine grosse Werbetrommel rühren zu müssen und der originale Whiskytrain hat unterdessen auch kleinere Nachahmer. Christof Dennler selbst kreuzen wir während der Fahrt diverse Male. Der Besitzer des Single Malt Shops in Murten nimmt sich Zeit für die Gäste, versucht mit allen ins Gespräch zu kommen, beantwortet Fragen und schaut nach dem Rechten. Der 62-Jährige weiss, dass er mit dieser Idee irgendwie einen Nerv getroffen hat, respektive eine Exklusivität geschaffen hat, das ein gewisses Bedürfnis befriedigt. "Wir werden den Event sicherlich nicht vergrössern, aber auf alle Fälle noch einige Jahre weiterführen", so Dennler.

Der Initiator des Whiskytrains, Christof Dennler, im Gespräch.

Letzter Zwischenhalt: Biel. Wir nutzen die Gelegenheit und spurten nach vorne zur leuchtend schwarz gestrichenen Lok, wo uns Lokführer Roland Hunziker ins Führerhäuschen einlädt. Alles tickt, zischt, russt und riecht nach Feuer, Kohle und Schmiermittel. Ein Paradies für Freaks alter Technik. "Es ist faszinierend, welche Qualität die Ingenieure vor über 100 Jahren mit einfachen Mitteln erreicht haben und heute immer noch funktioniert," meint Lokführer Roland Hunziker, der nebst jahrzehntelanger Erfahrung als Lokführer modernerer Züge auch Mitglied im Verein Dampfbahn Bern ist, der Personen mit entsprechender Erfahrung an den historischen Dampfloks ausbildet. Für das dreiköpfige Team im Führerhäuschen gibt es viel zu beachten. Eine Person behält die Spur und die Bahnsignale im Auge, der Lokführer überprüft die Messgeräte und berechnet, wie viel Kohle der Heizer nachwerfen muss, damit der Zug die nächste Steigung schafft. Eine beeindruckende Teamarbeit.

Lokführer Roland Hunziker erklärt die 112 Jahre alte Technik.

Auf dem letzten Fahrtabschnitt zwischen Biel und Murten widmen mir uns noch einmal dem Whiskyangebot, sprechen mit einer Gruppe, die bereits zum dritten Mal extra aus Deutschland angereist ist und lassen die Hände aus dem Fenster hängen, ohne zu merken, dass sich bei einer Tunnelpassage ein Film aus Russ auf unserer Haut ablagert. Nach knapp siebenstündiger Fahrt treffen wir wieder in Murten ein, verabschieden uns von unseren Tischnachbaren, die ihre Handys mit reichlich Bildmaterial gefüllt haben. Auf dem Perron bilden sich interessante Konstellationen aus ausschweifenden Erzählern in Schottenröcken, Bilderhungrigen in Multifunktionskleidung, gut gekleideten älteren Passagieren mit amüsierten Gesichtern, verstrahlten Vielprobierern und in Nostalgie Schwelgenden mit Souvenir-Täschchen und sehnsüchtigen Augen. "Es ist ein Event für alle", meint Whiskytrain-Initiator Christof Dennler. "Hier treffen sich Kennerinnen- und Kenner, Leute die Dampfloks lieben, die gerne reisen, oder einfach die Atmosphäre geniessen. Aber der Whisky steht im Vordergrund."

RadioFr. - Valentin Brügger / Fabian Waeber
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