Soll die Avenue Jean-Marie-Musy umbenannt werden?

Weil der ehemalige Bundesrat Jean-Marie Musy Freundschaften zu Nationalsozialisten pflegte, soll die nach ihm benannte Strasse anders heissen.

Die Strassenschilder der Avenue Jean-Marie Musy wurden von Aktivistinnen und Aktivisten übersprayt. © zvg / Keystone

Die Forderung nach einer Umbenennung der Strasse stammt von einer Aktivistengruppe. Sie hatten am 30. April die Strassenschilder mit der Aufschrift "Avenue Jean-Marie-Musy" übersprayt. In einem Schreiben an die Stadt Freiburg und an die Medien fordern sie die Umbenennung dieser Strassenallee im Schönberg.

Es ist unzumutbar, dass eine Strasse in Freiburg nach einem engen Freund Himmlers, dem Hauptverantwortlichen für den nationalsozialistischen Massenmord, benannt ist.

Auf einem Flyer, welche die Aktivistinnen und Aktivisten entlang der Strasse aufgehängt haben, fordern sie zudem die Anwohnerinnen und Anwohner dazu auf, etwas dagegen zu unternehmen.

Wer war Jean-Marie Musy?

Der Freiburger Politiker Jean-Marie Musy gehörte der heutigen CVP an (damals noch KVP) und war ab 1911 sowohl Freiburger Grossrat als auch Staatsrat. Drei Jahre später wurde er in den Nationalrat gewählt und 1914 wurde er schliesslich der erste Freiburger Bundesrat der Geschichte.

Jean-Marie Musy war von 1919 bis 1934 Bundesrat. Bild: Keystone

Laut der Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Freibug, Christina Späti, sei Jean-Marie Musy in gewissen Bereichen etwas radikaler gewesen als ein durchschnittlicher Katholisch-Konservativer. Wie alle Katholisch-Konservativen war auch Musy stark gegen den Bolschewismus und den Kommunismus. Bei ihm sei diese Abneigung womöglich noch ausgeprägter gewesen, so Späti.

Dies hat ihn dazu verleitet, dass er im Kampf gegen den Bolschewismus in den Nazis Verbündete gesehen hat.

So habe Musy auch Freundschaften zu Heinrich Himmler gepflegt, einem der Hauptverantwortlichen für den Holocaust.

Nicht nur ein Nazi-Freund

Wird eine Strasse nach einer Person benannt, so wird diese Person geehrt. Ob ein ehemaliger Bundesrat, der engen Kontakt zu Nationalsozialisten pflegte, auf diese Art und Weise geehrt werden sollte, kann Christina Späti nicht sagen. Es komme ganz darauf an, in welcher Zeit man dies betrachtet. Wichtig sei aber zu ergänzen, dass Jean-Marie Musy nicht nur ein Freund der Nationalsozialisten war.

Er hat diese Nazi-Freundlichkeit auch benutzt, um Jüdinnen und Juden aus Konzentrationslager zu befreien.

Als verschiedene Schweizerinnen und Schweizer und auch eine jüdische Gemeinschaft Musy gebeten haben, die Kontakte zu Himmler und anderen zu nutzen, um Jüdinnen und Juden aus Konzentrationslager zu befreien, hat er dies auch gemacht. Er habe immerhin 1200 KZ-Häftlinge höchstwahrscheinlich vor dem Tod bewahrt, wie Späti erzählt.

Christina Späti finde es wichtig, dass solche Themen auf den Tisch kommen. Weiter sollte man sich die Frage stellen, was man mit solchen Aktionen auslöst. Als Historikerin argmuentiert Späti, dass man nicht einfach die Spuren der Geschichte verschwinden lassen könne und dadurch eventuell ein Bild vermittelt, dass alles gut sei und die Schweiz keine solche Vergangenheit hat. Viel wichtiger sei es, die Geschichten zu erzählen und über solche Persönlichkeiten wie Jean-Marie Musy aufzuklären.

Die Stadt Freiburg wird die Strasse nicht umbenennen

Auf Anfrage sagte Syndic Thierry Steiert gegenüber RadioFr., dass er die Forderung der Aktivistinnen und Aktivisten irritierend finde und man sich vielmehr mit dieser Person auseinandersetzen sollte. Er kritisiert zudem, dass sich diese Gruppe nicht zu erkennen gibt. Weiter sei es etwas befremdlich, dass im Schreiben über Demokratie und Partizipation gesprochen wird. "Jedoch gehört es zu den demokratischen Prinzipien, dass man Transparenz zeigt, was hier nicht der Fall ist", so Steiert.

Es komme sowieso nicht infrage, die Avenue Jean-Marie-Musy umzubenennen, da dies ein enormer administrativer Aufwand bedeuten würde. An dieser Strasse wohnen Tausende Leute. Sowieso ist es höchst unüblich, Strassen umzubenennen.

Diese Kompetenz liegt beim Freiburger Gemeinderat, der gewisse Kriterien befolgen muss. Beispielsweise muss die Person, die mit einer Strassen- oder Platzbenennung geehrt wird, bereits verstorben sein. Danach folgt eine Bestätigung durch eine kantonale Kommission. Ansonsten sei fast alles erlaubt, so Thierry Steiert.

Aufklären statt verschweigen

Wie bereits Historikerin Christina Späti, findet auch der Freiburger Syndic Thierry Steiert, dass man sich mit dieser Person vielmehr auseinandersetzen sollte. Es gab im Freiburger Generalrat bereits ein Postulat zu diesem Thema, was aber abgelehnt wurde. Der Freiburger Gemeinderat hat bereits damals die Position eingenommen, lieber Informationen über die Geschichte und die Person anzubringen, als die Strasse umzubenennen. Laut Thierry Steiert hat die Stadt die Absicht, QR-Codes an besagten Strassenschildern anzubringen, um die Bevölkerung aufzuklären und die Hintergründe zu erläutert.

RadioFr. - Tracy Maeder
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