Staatsrat setzt auf das Jahrhundertwerk
Die Kantonsregierung setzt als Massnahme zum Ausbau der Stromproduktion auf das geplante Mega-Wasserkraftwerk zwischen Schiffenen- und Murtensee.
Die Grafik, welche Energiedirektor Olivier Curty und sein Team anlässlich der Medienkonferenz vom Donnerstag projiziert haben, ist eindrücklich. Sie belegt, was der Staatsrat in einem Bericht über seine zukünftige Wasserkraftstrategie festhält. Er hat ihn am Donnerstag in Freiburg vorgestellt. Der mögliche Nutzen einer Erhöhung von Staumauern bestehender Wasserkraftanlagen wie auch von Pumpspeicherkraftwerken sei «begrenzt, um nicht zu sagen inexistent.»
Die Studie war das Ergebnis eines Auftrags aus dem Grossen Rat aus dem Jahr 2022. Schon im Vorhinein war klar, dass der Kanton seit Jahrzehnten sein Wasserkraftpotenzial fast vollständig ausschöpft. Der Bedarf unterliegt zudem grossen Schwankungen und ist im Winter viel höher.
Pumpspeicherung: kein Thema
Die Pumpspeicherfunktion von Kraftwerken diene, so der Autor des Berichts, Nicolas Charton, nicht primär der Produktion selbst. Sie gebe nur die Möglichkeit, zu einem bestimmten, kurzen Zeitpunkt viel Strom zu erzeugen. Mitautor Bruno Meuriot fügte an, dass die Funktion auch nicht dazu beitrage, grössere Kapazitäten für die Produktion im Winter zu schaffen und so wie gewünscht die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Um bei einem Pumpspeicherkraftwerk wirklich eine Wirkung zu erzielen, müssten die Seespiegel innert kürzester Zeit um mehrere Meter erhöht werden können. Aber viele Siedlungsgebiete sind unmittelbar an die Gewässer gebaut und diese wiederum begehrte Ziele von Freizeitsuchenden. Auch sprächen Ökologie wie auch Ökonomie dagegen. Das Hochpumpen des Wassers für eine erneute Turbinierung koste immer mehr Strom, als es Ertrag abwerfe. Generell sei die Topografie des Kantons für diese Technologie aufgrund des geringen Gefälles entlang der Saane weniger geeignet als zum Beispiel jene der hochalpinen Kantone.
Die Erhöhung von Staumauern oder das Ausbaggern des Sandes in den Seen steigerten zwar ebenfalls die Speicherkapazität, lieferten aber fast keinen zusätzlichen Nutzen – von den entstehenden Schäden und Kosten ganz zu schweigen. Auch der Effekt anderer Massnahmen sei klein. Der Ausbau bestehender Anlagen würde zum Beispiel bestenfalls mit 38 Gigawattstunden pro Jahr auf die Habenseite einzahlen, effizientere Anlagen mit 15 – unter perfekten Umständen, versteht sich.
Das Fazit des Staatsrates: «Die Entwicklung von Pumpspeicherkraftwerken und die Erhöhung der Staumauern müssen nicht als prioritär eingestuft werden.» Kurzum: Ab mit den Plänen ins Kantonsarchiv.
Hoffnungsträger «Schem»
Nicht so beim Schiffenen-Murtensee-Projekt, an dem der staatsnahe Energieversorger Groupe E schon seit einiger Zeit arbeitet. Dieses «Schem» genannte Vorhaben habe allein ein Potenzial, das umgerechnet um das dreifache dessen grösser ist, als alle anderen angedachten Massnahmen zusammengezählt.
Zur Erinnerung: Das Bauwerk (siehe Kasten) führt in grossen Mengen Wasser aus der Saane durch einem riesigen, 7 Meter breiten Stollen vom Schiffenen- zum Murtensee in ein Kraftwerk. Konkret könne Schem allein insgesamt circa 160 Gigawattstunden pro Jahr liefern. Davon wird etwa ein Drittel für den Kanton Bern zur Entschädigung des kurz vor der Kantonsgrenze umgeleiteten Saanewassers abgezogen.
Der effektive Gewinn beträgt jedoch noch immer über 100 Gigawattstunden pro Jahr, und zwar unabhängig von der Jahreszeit. Die Schätzung des Kantons für das maximale Ausbaupotenzial sind 210 GWh/J. Aktuell produziert der Kanton etwas über 600 GWh/J aus der Wasserkraft, rund 250 weitere kommen aus der stark wachsenden Fotovoltaik. Zum Vergleich: Eine Erhöhung der Barrage in Rossinière im Greyerzer Hochland brächte bestenfalls drei Gigawattstunden mehr in die Leitungen. Der jährliche Gesamtgebrauch pro Jahr beträgt 1800 Gigawattstunden – hier wird die winterliche Versorgungslücke sichtbar.
Gute Chancen, wenn’s mal abhebt
Das aktuelle Kraftwerk Schiffenen müsse aufgrund der problematischen Schwankungen des Abflusses unterhalb der Staumauer ohnehin saniert und renaturiert werden, betont der Staatsrat im Bericht. Diese Revision könnte man sich mit Schem schenken. Energiedirektor Curty stellte klar: «Für den Staatsrat ist es wichtig, dass alles unternommen wird, damit das Projekt vor 2030 beginnen kann.» Dies, weil der Kanton dann bedeutende Mittel des Bundes erwarten dürfte, etwa ein Viertel der Gesamtkosten.
Gleichzeitig hebt der Staatsrat auch einen Mahnfinger und weist darauf hin, dass das Projekt einerseits erst noch seine Umweltverträglichkeit nachweisen muss. Das gilt insbesondere in Bezug auf den Murtensee, der auf einmal grosse Mengen an Saanewasser eingeleitet bekommt. Und selbst mit Schem sei der Kanton – wie die restliche Schweiz mit ihren Anlagen auch – weit davon entfernt, die Versorgungslücke speziell im Winter schliessen zu können.
Mit Hinweis auf die Diskussion im Grossen Rat über einen massiven Ausbau der Photovoltaik einige Stunden zuvor, warb Curty für ein Fortschreiten der Energiewende: «Um die ganzjährige Versorgung zu gewährleisten, muss die Produktion von Solar- und Windstrom zügig ausgebaut werden.»
Warten, hoffen und beten
Doch der zuständige Energieminister wirkte auch zerknirscht. Seit sechs Jahren arbeite man nun an dem Projekt, habe das finale Dossier und warte auf das grüne Licht aus Bundesbern für die Subventionen zur Saane-Sanierung. «Erst mit der Zusage geht’s weiter.» Der Staatsrat werde langsam ungeduldig und wolle das Projekt weitertreiben. «Es ist unglaublich, was in dieses Projekt investiert wurde. Wir konnten beweisen, dass es das beste Projekt für die Renaturierung ist.» Es ist ein grosses Projekt, der Kanton habe sich aber gut darauf vorbereitet. «Wenn wir die Subventionen verlieren, verlieren wir das Projekt.» Und nach einer kurzen Pause schloss er: «Wir hoffen, wir beten für Schem, es ist aber nicht in unserer Hand.»
Das grösste Bauprojekt im Kanton
Den Impuls zum Grossprojekt Schiffenen-Murtensee gab die Erkenntnis, dass Groupe E das alte Schiffenen-Kraftwerk ohnehin sanieren muss. Grund dafür ist die Schwall-Sunk-Problematik, dass nach Kraftwerken die Abflussmenge massiv schwankt, der Geschiebehaushalt gestört ist und die Fischwanderung unterbrochen wird. Als Folge weiterer Überlegungen kam die Idee auf, einen neun Kilometer langen Stollen mit 7,2 Metern Durchmesser als Verbindung zwischen den beiden Seen zu bauen.
Das aus dem Schiffenensee abgeleitete Wasser würde in einem unterirdischen Kraftwerk unterhalb von Gurwolf turbiniert und dann in den Murtenssee fliessen. Der Trumpf des Projekts ist das Gefälle von fast 100 Metern zwischen den beiden Seen, das einen hohen Ertrag verspricht. Da alles unterirdisch verliefe, gäbe es keine Auswirkungen auf die Landschaft.
Das Ziel wäre, 280 Gigawattstunden Strom pro Jahr zu erzeugen, mehr als doppelt so viel wie das aktuelle Schiffenen-Kraftwerk. Netto könnte das neue Kraftwerk 23’000 Haushalte mit grünem Strom beliefern, verspricht sich die Bauherrin Groupe E. Aktuell liegt das Vorhaben bei vielen Behörden und Stellen zur Überprüfung vor. Groupe E rechnet mit Gesamtkosten von 350 Millionen Franken. Der Bund hält für Sanierungsprojekte Subventionen bereit, im vorliegenden Fall darf Groupe E rund 80 Millionen Franken erwarten. Doch dieses Angebot läuft 2030 aus.