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Schweiss und Tränen auf dem heissen Zement

Das neue Album "Cemento" von Crème Solaire ist ein Powerpaket mit viel songwriterischem Scharfsinn und stärkerem Tiefgang.

Crème Solaire stehen auch an der diesjährigen Bad Bonn Kilbi auf der Bühne. © Thalles Piaget


In nur fünf Jahren haben Rebecca Solari und Pascal Stoll aus einer Projektband, die im Rahmen der Popakademie La Gustav zusammengestellt wurde, einen der aktuell angesagtesten CH-Live-Acts geschustert. Mit ihrem wilden Elektro-Punk-Pop-Rodeo und den fulminanten Performances versetzen Crème Solaire das Publikum oft in schier ekstatische Zustände.

Wir haben immer noch die gleiche Energie und den gleichen Wunsch, etwas zu exprimieren und das mit Leuten zu teilen

Nebst den zig Konzerten zwischen besetzter Hütte und internationaler Festivalbühne blieb meist nicht viel Zeit für Schreib- und Aufnahmeprozesse. Die bisherigen zwei Alben "Bleu c’est bien" und "Pannenstreifen ist ohne pic-nic" sind jeweils in nur wenigen Tagen oder Wochen entstanden. "Das war immer ein bisschen vite fait", meint Pascal Stoll. "Für das neue Album haben wir uns viel mehr Zeit genommen, um herauszufinden, was wir eigentlich machen wollen". Fast ein Jahr haben Crème Solaire für den Schaffensprozess aufgewendet und präsentieren mit "Cemento" ein Powerpaket mit viel songwriterischem Scharfsinn und stärkerem Tiefgang.

Pascal Stoll und Rebecca Solari © Thalles Piaget

Le Dieu Kick!

Die elf Songs auf "Cemento" sind enorm dicht gewobene, teils wuchtige, teils hibbelige Tracks, die selten unter 190 bpm davongaloppieren. "Ich denke, der grösste Unterschied zu den anderen Alben ist die Textur in jedem Sound, wie es klingt", meint Rebecca Solari. Zusammen mit Soundtechniker David Brodard wurde tagelang am Klang des Albums getüftelt, Knöpfe gedreht, Kompressoren getestet, bis es passte. Für das Mastering war Grégoire Pasquier zuständig. "So richtig Bunker-Techno. Le Dieu Kick ist das Wichtigste", so Stoll. Dieser ballernde Bass wird aber durch eine Melodiespur kontrastiert, die sich in halbem Tempo durch das Gestampfe schlängelt.

Die Strukturen der Tracks sind sehr wohl überlegt, platzieren Hook, Bridge, Refrain perfekt, um diese essenziellen Aspekte bereits zu Beginn des Tracks hervorzuheben. Dabei haben die Songs verschiedene Aufgaben im Set. "Calcanti" und "Sguardo" sind beispielsweise Hit-Tracks mit grossem Mitsing-Faktor, bei "Anormal" und "Sévère" müssen Wellenbrecher im Publikum installiert werden und bei "Chaos" öffnet sich das wilde Geflecht zum grossen Bouquet. Effekt auf das Live-Publikum: Eine fast kommunale Erfahrung. "Wir suchten nach einer Art Hymnen, die die Menschen dazu auffordert, sich zu bewegen, zu aktivieren, zu vereinen", so Rebecca Solari.

Die elf Tracks auf "Cemento" wirken bestimmter, wohlüberlegter, detailreicher als bisherige Veröffentlichungen von Crème Solaire. Bestand eine gewisse Angst, die Erwartungen des Publikums erfüllen zu müssen?  "Schon ein wenig. Davon konnten wir uns aber ziemlich schnell separieren. Nicht versuchen, etwas Besseres zu machen, als das, was man schon gemacht hat, sondern einfach etwas Neues", erklärt Pascal Stoll.

Das Cover ist in Zusammenarbeit mit Thalles Piaget entstanden.

Lyrische Blüten

Das Albumcover von "Cemento" zeigt eine stilisierte Blume, die aus dem Zement bricht. "Metaphorisch ist das ein sehr geradliniges, einfaches Bild, aber es wirkt auch direkter, konkreter", so Solari. Der Zement als Symbol für Eintönigkeit und Entfremdung, die ausbrechende Blume, wie sich befreiende Körper, Ideen, Gefühle etc. "Wir sind uns über unsere Privilegien mehr bewusst und versuchen auch mehr Position zu beziehen". Die Lyrics auf "Cemento" sind aber nie wulstige Mahnfingereien mit skandierten Slogans, sondern setzen die individuelle menschliche Erfahrung des Jetzt ins Zentrum. Und dies meist nicht als biografisches Narrativ, sondern als lyrische Verzettelung Wörtern, Sätzen, Metaphern und Ideen, die ein bestimmtes Gefühl evozieren.

Auch die Mehrsprachigkeit spielt hier eine wichtige Rolle. "Die Liedtexte sollen nicht von einer Sprache eingeschränkt sein. Ich lasse mich mitreissen. Es ist ein Teil dieses Wunsches, mit traditionellen Mustern zu brechen und etwas anderes zu versuchen", erzählt Solari, die auf "Cemento" nicht nur ihr multilinguales Songwriting verfeinert, sondern auch einen bemerkenswerten lyrischen Stil präsentiert. Nebst der Komposition der Track, die dem Publikum die gewünschte Ekstase liefert, sind es auch die gewählten Worte über den Zustand der Welt, den ganzen Überfluss an Emotionen und Stimulationen etc., die super zur jungen Befindlichkeit passen.

Das Album "Cemento" von Crème Solaire zeugt von sehr viel investierter Zeit, von vielen Dingen, die Rebecca Solari und Pascal Stoll erlebt haben, die hier in diesem Sound und den Lyrics sehr spürbar werden. Und trotz der ganzen Party auf diesem Album mischen sich oftmals Schweiss und Tränen. "Ich finde, es ist schwierig, gut in diese Welt zu gehen, in dieses Chaos. Wir exprimieren viele unserer Geschichten, Traumata, Träume, die manchmal in den Liedern wahrgenommen werden und wir nicht unbedingt im täglichen Leben preisgeben. Es braucht viel Energie, jedes Wochenende das in den Körper zu stecken, es existieren zu lassen, es zu teilen. Aber wir sind sehr froh, es machen zu können".

RadioFr. - Valentin Brügger
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