Wenn schon Trinkgeld, dann bitte cash!

Trinkgeld ist für die meisten Gäste in Restaurants oder Bars gang und gäbe. Welchen Einfluss hat bargeldloses Bezahlen auf die Höhe des Trinkgelds und in welches Portemonnaie fliesst der Betrag?

In der Freiburger Gastroszene wird Trinkgeld nicht versteuert. © Keystone

Seit 1974 muss man in der Schweiz und somit auch in den Restaurants und Pubs im Kanton Freiburg offiziell kein Trinkgeld mehr geben. Der Service ist im Preis inbegriffen. Trotzdem gehört es für viele Gäste zum guten Ton, im Restaurant oder an der Bar ein paar Franken mehr zu zahlen, um sich für die Bedienung und das Essen zu bedanken - mit Bargeld oder cashless, wie etwa per Karte oder Twint.

Trinkgeld als Einkommen

Der Einbezug freiwilliger Kundenleistungen, also Trinkgelder ins Lohnsystem ist unzulässig. Das Trinkgeld ist im Lohn also nicht inbegriffen, sonst könnte es der Arbeitgeber vom Servicemitarbeiter herausverlangen. So gilt für Basile Cardinaux, Professor für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an der Universität Freiburg: "Laut Gesamtarbeitsvertrag für das Gastgewerbe kommt das Trinkgeld zum Lohn des Servicepersonals hinzu." Das Bundesamt für Sozialversicherungen äussert sich in seinen Weisungen dazu, ob auf dem Trinkgeld Sozialabgaben (AHV, IV, EO, ALV) zu bezahlen sind. Und Basile Cardinaux ergänzt: "Das Trinkgeld ist im Gastgewerbe nicht als Lohnbestandteil gedacht. Die Servicemitarbeitenden erhalten einen Lohn, der sie für ihre Arbeit voll entschädigt".

Anders verhält es sich etwa in den USA. Dort erhalten die Angestellten einen tiefen Fixlohn. Die Kunden sind angehalten, die Servicedienstleistung durch ein Trinkgeld von 10 bis 20 Prozent des Preises für das Essen und Trinken abzugelten und so für einen anständigen Lohn des Servicepersonals zu sorgen.

In der Schweiz ist die Servicedienstleistung hingegen im Preis inbegriffen, welcher der Gastronom vom Gast einfordert. Das Trinkgeld, das wir geben, stellt den Overtip dar, so Basile Cardinaux, Professor für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. "Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber alle Einnahmen abgeben, die er bei der Arbeit einnimmt, ausgenommen ist eben das angesprochene Trinkgeld", erklärt Basile Cardinaux und ergänzt: 

Das Trinkgeld geben wir ja aus diesem Grund, damit es dem Arbeitnehmer zu Gute kommt.

So sieht es in der Freiburger Gastroszene aus

In einer nicht repräsentativen Umfrage von RadioFr. in der Freiburger Gastroszene ist der Grundtenor klar. Das Trinkgeld ist nicht Bestandteil des Lohns und wird somit nicht als Entgelt versteuert. 

Philippe Roschy, Präsident Gastro Freiburg und Inhaber des Restaurants Brasserie Le Boulevard 39 in Freiburg

Philippe Roschy ist seit einem Jahr Präsident des Freiburger Wirteverbandes Gastro Freiburg, dazu ist er Inhaber des Restaurants "Brasserie Le Boulevard 39" und der Auberge Aux 4 Vents in Freiburg. Durch die bargeldlose Bezahlweise hat sich der Trinkgeldbetrag in seinem Restaurant seit rund drei Jahren spürbar verringert. "Vor der Pandemie lag der Anteil von Bargeldbezahlungen bei etwa 75 Prozent und der Anteil von Kartenzahlungen bei 25 Prozent. Während der Pandemie hat sich dieses Verhältnis umgekehrt". Da Gäste tendenziell den Betrag auf ihrer Rechnung bei der bargeldlosen Bezahlweise genau begleichen und nicht aufrunden, bleibe oft kein Trinkgeld übrig, so Philippe Roschy. 

Das Trinkgeld als Anerkennung 

Philippe Roschy betont die Bedeutung des Trinkgelds als Anerkennung für das Servicepersonal. "Es ist Trinkgeld für Dankbarkeit, für einen Service", sagt er. Es wird als Bonus betrachtet. Wenn ein Gast cashless zehn Franken mehr für eine 100-Franken Rechnung zahlt, zieht Philippe Roschy keinen Betrag ab und gibt das volle Trinkgeld an sein gesamtes Personal weiter.

Es wird anhand eines hausinternen Verteilschlüssels an alle weitergeben, auch an das Backoffice und an das Küchenpersonal. Philippe Roschy wird hingegen den vollen Betrag von 110 Franken versteuern müssen, da es Einnahmen sind. 

Raphael Siffert, Co-Geschäftsführer des Hirschen Gastro Pub in Plaffeien

Soll das Trinkgeld in den Lohn integriert werden? "Das ist eine sehr komplexe Frage", sagt Raphael Siffert. Es handle sich um eine Grauzone, die Trinkgeldkultur hat sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt. Das Trinkgeld wird in seinem Betrieb auf das ganze Personal aufgeteilt.

Es sei die klassische Art und Weise, wie das Trinkgeld seinem Personal zukommt. Das Trinkgeld steht auch beim Hirschen Gastro Pub in Plaffeien nicht auf dem Lohnblatt. "Juristen reden davon, dass somit in der ganzen Schweiz rund eine Milliarde Franken nicht versteuert werden", so Raphael Siffert. Er sieht es aber durchaus als Option an, das das Trinkgeld Lohnbestand sein kann, das müsse aber mit dem Personal noch besprochen werden, so Siffert. 

Eyip Bartamay, Inhaber des Restaurants Jäger in Murten

Auch im Betrieb von Eyip Bartamay werden Trinkgelder nicht als Lohn verrechnet und versteuert.  "Es ist so, dass ich Ende Monat das ganze Trinkgeld für jeden Angestellten und für jede Angestellte gleich verteile. Dann kommt niemand zu kurz." Der Mindestlohn in der Gastronomie ist oft niedrig und das Trinkgeld kann die Lohnlücke füllen.

Eyip Bartamay bevorzugt das Trinkgeld für sein Personal in bar. "Es ist fürs Administrative viel einfacher", so der Inhaber des Jägers.

Gilles Montani, Inhaber des Boutique Hotel und Pub Adler in Murten

Im Adler an der Bar bezahlt laut Gilles Montani über die Hälfte seiner Kundschaft ihre Getränke bar. Auch mit der zunehmenden Kartenzahlungen ist die Höhe des Trinkgelds für sein Personal immer noch recht konstant. "Es funktioniert immer noch, auch wenn vermehrt cashless bezahlt wird. Die Leute runden auf", meint Montani. "Tendenziell geben Kunden, die bar bezahlen, mehr Trinkgeld. Das Trinkgeld wird nicht zu den regulären Löhnen seines Personals hinzugerechnet. "Jedes Staffmitglied hat seine eigene Zahlstation mit einem eigenen Schlüssel und bekommt so sein eigenes Trinkgeld", erklärt er.

Obwohl er grundsätzlich offen für die Idee ist, das Trinkgeld in die Lohnmasse  zu integrieren, denkt er im Moment nicht ernsthaft darüber nach. Für eine mögliche Anlehnung an das amerikanische Modell, bei dem die Kunden im Prinzip verpflichtet sind, Trinkgeld zu geben, zeigt sich Gilles Montani offen. "Wir könnten einen Mix zwischen unserem Modell, dem Schweizer Modell und dem amerikanischen Modell machen". Für ihn ist aber klar: "Wenn Trinkgeld, dann lieber cash für den Staff, klar."

"Behalten Sie den Rest"

Beim Trinkgeld wird nicht nur Geld ausgetauscht, der Gast orientiert sich an den gängigen gesellschaftlichen Konventionen. Beeinflusst wird das Geben von Trinkgeld von zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen dem Personal in einem Restaurant und dem Gast, schreibt etwa die Universität Heidelberg in einer Studie über das Trinkgeld.

Bei der Vergabe von Trinkgeld spielen Konventionen eine Rolle. Daraus geht aber nicht genau hervor, wie hoch das Trinkgeld sein soll und wie es übergeben wird. Oft gilt die 10 Prozent-Regel oder der Rechnungsbetrag wird aufgerundet. Gleichzeitig ist das Mehrgeld, also das Trinkgeld, auch ein Kommunikationssignal: Es bringt die Qualität des Service, den Geschmack und das Ambiente auf einen Nenner. Wer wie viel zahlen soll, hängt nicht nur von der Leistung des Restaurants ab, auch persönliche Umstände werden dabei miteinbezogen.

Zunahme des digitalen Zahlungsverkehrs

An Hand von Twint lässt sich diese Zunahme der bargeldlosen Bezahlweise veranschaulichen. Im Jahr 2023 haben die Menschen in der Schweiz insgesamt 590 Millionen Transaktionen getätigt, teilt Twint mit. Das ist die Hälfte mehr als in 2022. Im Jahr 2017, zum Start des Zahlungssystems, verzeichnete Twint noch vier Millionen Vorgänge.

Vor allem im Detailhandel habe sich die Zahl der Transaktionen 2023 im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt (+84 Prozent), erklärte Twint in einem Communiqué am Montag. Die grosse Mehrheit davon erfolge an der Supermarktkasse. Und das Zahlungssystem zähle heute weit über 5 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer, so Twint. 

RadioFr. - Martin Zbinden
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