"Wir haben unsere Improvisationssprache gefunden"
Mit "Sueños Paralelos" präsentiert das Laura Schuler Quartett ein bemerkenswertes Album, das von einer starken Emotionalität und einer grossen Gestaltungsfreiheit lebt.

Musik, die zwischen inneren und äusseren Welten schwingt, wo verträumt-narratives Spiel durch komplexe Rhythmuslabyrinthe wandelt und die Musizierenden das Klangkonstrukt während des Spiels kontinuierlich modellieren. Das neue Album Sueños Paralelos des Laura Schuler Quartetts generiert bereits ab dem ersten Ton eine enorme Sogwirkung und zeugt von einem wichtigen Entwicklungsschritt im Werk von Laura Schuler.
Valentin Brügger: Wo liegen die grössten Unterschiede im Schaffensprozess und im musikalischen Narrativ zwischen Metamorphosis und Sueños Paralelos?
Laura Schuler: An Metamorphosis habe ich sicher ein ganzes Jahr lang gearbeitet, bis ich mit der Komposition zufrieden war. Sueños Paralelos ist recht spontan in zwei Wochen entstanden, da ich nicht mehr Zeit zur Verfügung hatte. Was das musikalische Narrativ anbelangt, war wohl eher entscheidend, wie wir gespielt haben und weniger, was ich geschrieben habe. Nach dem langen Prozess von Metamorphosis konnte sich die Klangsprache des Quartetts irgendwie setzen. Ich denke, deswegen sind die Kompositionen für Sueños Paralelos irgendwie intuitiver oder organischer passiert.
Vielleicht auch wegen dieses intuitiven Charakters sind in «Suenos Paralelos» verschiedene Aggregatzustände erkennbar. Die Stücke klingen bald schwelend, bald schwelgend, folgen teils ausufernden Linien oder schlagen nach klaren Schnitten andere Pfade ein. Trotzdem habe ich das Gefühl, während des Hörens nie verloren zu gehen. Was macht's aus?
Ich finde es sehr schwierig, zu beurteilen, wie das Album für andere Personen klingt. Im Schaffensprozess kreiere ich, was mir gefällt, und denke nicht darüber nach, wie ich das Publikum an der Hand nehmen kann. Ich nehme vielleicht mich selbst an der Hand …
Jedenfalls funktioniert es. Das Quartett ist sehr symbiotisch unterwegs, weiss, was erzählt werden möchte, ohne in standardisierte Sets mit Solo-Einschüben zu fallen. In den Kompositionen von Sueños Paralelos läuft vieles parallel und alle Mitspielenden haben einen enormen Gestaltungsfreiraum.
Genau, das ist ein wichtiger Punkt. Ich gebe eigentlich sehr wenig vor. Ich schreibe eigentlich nur gewisse Themen und Grooves auf. In den letzten fünf Jahren haben wir als Quartett unsere Improvisationssprache gefunden, wobei alle zu jeder Zeit grösstmögliche Gestaltungsfreiheit geniessen. Das funktioniert wohl so gut, weil ich die richtigen Musiker habe (lacht).
Diesbezüglich hat sich aber auch etwas verändert, seit dem letzten Album. Lionel Friedli ist wieder an den Drums, Hanspeter Pfammater an den Synths, aber anstatt Philipp Gropper spielt der New Yorker Tony Malaby das Tenorsax. Wie beeinflusst diese neue Konstellation die Musik?
Ich denke, mit Tony ist es insofern anders, als dass er die Jazzsprache mehr reinbringt, als Philipp. Tony ist noch mit diesem alten New York Jazz aufgewachsen und hat beispielsweise mit Charles Mingus Big Band Alumni gespielt. Das hört man in seinem Klang, in seiner Attitude. Philipp kommt aus dieser intellektuellen Avantgarde-Geschichte voller hyperkomplexen Rhythmen etc. Er klingt moderner und Tony wärmer, jazziger und ist einfach ein unglaublicher Improvisator. Es ist toll, ihn auf dem Album zu haben. Da er in New York lebt und einen Lehrauftrag in Boston erhalten hat, ist es punkto Tour-Organisation viel zu komplex. Dafür haben wir Urs Müller an der Gitarre mit dabei.
Ein Wechsel, der sicherlich eine andere Perspektive auf die Stücke eröffnet. Bleiben wir noch bei der Album-Besetzung von Sueños Paralelos. Vor allem das Zusammenspiel zwischen Geige und Tenorsax generiert eine spürbare emotionale Kraft und windet sich um das hörende Herz. Auf dem ersten Album Metamorphosis wirke alles noch viel kopflastiger, intellektueller ausgearbeitet.
Ganz ehrlich habe ich auch Spuren gelöscht, da Tony und ich oftmals gleichzeitig gespielt haben und die parallele Führung von zwei Melodien, dieses Free-Jazz Idiom, teils etwas too much war oder drohte, etwas random zu wirken. In vielen Passagen hat genau dieser Aspekt eine besondere Qualität, aber manchmal empfand ich den Fokus auf ein Instrument als passender.
Die Selektion also wichtiger, als die Veranschaulichung des Könnens?
Genau, obwohl das live wiederum eine andere Geschichte ist. Auf den Alben versuche ich aber, die magischen Momente aus den Improvisationen herauszufiltern und neu zusammenzusetzen.
Stücktitel wie "Prospect Park" verweisen auf New York City. Bereits in der Vergangenheit war diese Stadt während kreativer Schaffensprozesse ein wichtiger Ort für dich. Wie wichtig war New York dieses Mal für das Album?
In New York ist es mir wiederum sehr leicht gefallen, mich komplett auf die Arbeit zu fokussieren. Das dortige Lebensgefühl ist bereits enorm reichhaltig und es passiert permanent dermassen viel, dass ich nicht den Drang verspüre, etwas beitragen zu müssen. Das Gefühl, sich selbst zu genügen. Ich denke, ohne New York wäre ich gar nicht imstande gewesen, ein solches Album zu realisieren. Ich kann dort auf eine ganz andere Weise in Resonanz mit diesem Teil meiner selbst treten, der wichtig ist für diese Art meiner Musik. Musikmachen – und auch andere Formen des künstlerischen Ausdrucks - hat für mich auch viel mit Verarbeitung und mit dem Verständnis internaler Prozesse zu tun, was mir sehr wichtig ist.
Nebst Komposition hast du auch den Mix übernommen. Wie wichtig war es für dich, die Federführung über Sound und Mix zu haben?
Dieses Album war für mich ein sehr wichtiger Schritt in Bezug auf Selbstermächtigung und Produktion. Für mich ist Sueños Paralelos eine Art Gesellenstück, an welchem ich ein halbes Jahr kontinuierlich gearbeitet habe. Ich habe viel Zeit darin investiert, wie jedes Instrument genau klingen soll und welche Effekte zu meiner Sound-Idee passen. So war es mir beispielsweise sehr wichtig, dass der Sound einerseits warm, nah und homogen wirkt, andererseits auch eine gewisse roughness erkennbar ist, wie etwa bei den Synthies. Eine Herausforderung war aber klar die Positionierung von Saxofon und Geige. Ich wollte, dass immer klar ist, welches Instrument nun im Fokus steht, wer das Narrativ bedient, etc.
Im Begleittext zum Album erwähnst du, dass man das Album auf visueller Ebene mit einem Gemälde von Georgia O’Keefe vergleichen könnte. "Allerdings durchzogen mit scharfen geometrischen schwarz/weiss Strukturen." Wieso gerade Georgia O'Keefe?
Was mir an ihrem Gemälde gefällt ist, dass sie oft das Leben und den Tod nahe aneinander bringt. Ihr Werk hatte auf emotionaler Ebene schon immer eine enorme Wirkung auf mich.
Interessant, dass du Leben und Tod erwähnst. Auf Sueños Paralelos finde ich viele Passagen, die einerseits von einem starken Fokus auf den Augenblick, das Momentum zeugen und andererseits scheinen die Instrumente über Vergänglichkeit zu sinnieren. Zwischen carpe diem und memento mori.
Für mich sind beide Aspekte enorm wichtig und ich denke, die Musik auf dem Album lädt dazu ein, sich mit den eigenen inneren Prozessen und Gefühlen auseinanderzusetzen. Positiv, wie auch negativ. Ich denke, durch die Komplexität und Abstraktion, die dieser Musik innewohnt, ist keine bestimmte Bedeutung vorgegeben. Die Zuhörenden können sicherlich vieles von sich in dieser Musik wiederfinden.
Sueños Paralelos lockt zum genaueren Hinhören und schafft es, individuelle Innenwelten auszuleuchten, bis die Musik von einem sehr intensiven Gefühl reflektiert wird. Kompositionen, die von einem grossen Spektrum an Einflüssen zeugen, mit grosser Experimentierfreude und viel Gespür für Momentum.