"Mein Körper war im Überlebensmodus"

2019 kam beim Brand der Conciergerie des Poya-Schlosses eine Person ums Leben. Séverine konnte sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten.

Séverine entkam den Flammen ganz knapp, ihr Zimmernachbar kam ums Leben. © Frapp

RadioFr. hat mit Betroffenen des Poyabrandes gesprochen. Alle Folgen der Serie erscheinen fortlaufend auf RadioFr. und sonntags als ganzer Podcast auf Frapp und Spotify.

Séverine wacht auf, weil sie aufs WC muss. Sie steht auf, will den Lichtschalter drücken und die Tür öffnen. "Da habe ich die Flammen gespürt", sagt sie. Zuerst denkt sie, es habe einen Kurzschluss am Schalter gegeben. Séverine ist verwirrt - und kann nicht atmen.

Langsam geht sie zum alten Doppelfenster. "Es zu öffnen war sehr schwierig." Séverine gerät in Panik. Schliesslich gelingt es ihr, den Kopf rauszustrecken und nach Luft zu schnappen. Erst jetzt realisiert sie, dass es ein Problem gibt. "Ich habe nach Hilfe gerufen, aber nicht geglaubt, dass mich jemand hört."

Vor dem Haus steht Monika. Sie konnte das brennende Haus rechtzeitig mit einigen Mitbewohnern verlassen. Sie fordern Séverine auf, aus dem Fenster zu springen. "Mein Körper war im Überlebensmodus", sagt Séverine. Sie hört auf ihre Mitbewohner, springt und landet auf dem Vordach. Von dort hilft ihr ein Mitbewohner ihr nach unten.

Von der Strasse aus sieht sie ihre WG - die Conciergerie des Poya-Schlosses - in Flammen. Barfuss und im Pyjama verfolgt sie die Ereignisse. Langsam wird klar, dass in der kleinen Ansammlung vor dem Haus eine Person fehlt: Ihr Zimmernachbar.

Marodes Haus

Es ist der 7. April 2019. Séverine wohnt erst seit einem Monat in dem denkmalgeschützten Haus aus dem Jahr 1912 mit zwei WGs. Sie kam aus Frankreich nach Freiburg, um eine Stelle anzutreten. Die Umgebung des geschichtsträchtigen Hauses ist grün und gefällt ihr.

Allerdings hat es auch seine Kehrseiten. "Es war häufig kalt", sagt Séverine. Noch mehr Sorgen bereitet ihr die veraltete Elektronik. Mit Elektro- und Holzöfen versuchen die zehn Bewohnerinnen und Bewohner der beiden WGs im Haus, sich warmzuhalten.

Explosion

Als die Bewohnerinnen und Bewohner auf der Strasse sich noch überlegen, einen Rettungsversuch zu starten, hören sie eine Explosion. "Das war mein Auto", sagt Séverine. Eine Frau aus der Nachbarschaft taucht auf und reicht ihr eine Decke, einer der Feuerwehrleute oder Soldaten gibt ihr Schuhe.

Es sind solche Gesten, die Séverine helfen, nach den Ereignissen wieder Fuss zu fassen. Arbeitskolleginnen sammeln Kleider für sie, die WG-Mitglieder helfen ihr bei der Wohnungssuche.

Nicht alle zeigen sich aber so empathisch. Am Tag nach dem Brand treffen sich die Betroffenen im Café des Arcades. Einer der Hausbesitzer - das Poya-Schloss und die Conciergerie gehören einer zerstrittenen französischen Aristokratenfamilie - taucht auf. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Séverine noch gar keinen Mietvertrag unterzeichnet. Er bittet sie darum, das noch nachzuholen.

Er vermittelt den Anwesenden das Gefühl, dass er sie in der Situation unterstützt. Doch nach seinem Besuch lässt er sich nicht mehr blicken. Die WG-Mitglieder warten auf die Untersuchung der Polizei - und auf ihr Mietzinsdepot. Bis heute schulden die reichen Besitzer vier Bewohnern der WG im oberen Stock noch 720 Franken.

Verhör

Die Energie und das Geld für ein juristisches Verfahren hat Séverine nicht. Schon die Befragung durch die Polizei ist anstrengend. "Wir wurden voneinander getrennt und mussten alleine aussagen." Immer wieder fragte die Polizei Séverine, ob die WG-Mitglieder im Haus geraucht haben.

Séverine weiss, dass die Polizei nur ihre Arbeit macht. Sie ist aber auch überzeugt, dass niemand im Haus fahrlässig gehandelt hat. Bis heute ist die Brandursache ungeklärt.

Sicher ist nur: Einer der Mitbewohner verlor sein Leben. Auch wenn Séverine ihn noch nicht so gut kannte, beschäftigt sein Schicksal sie. "Er war mein WG-Kollege, ich habe Erinnerungen an ihn", sagt Séverine. Besonders die Geschichte seiner Witwe und des ungeborenen Kindes berühren. Die Ehefrau des verstorbenen WG-Mitbewohners trifft wenige Tage nach dem Brand aus Pakistan in der Schweiz ein.

Séverine und die WG-Mitglieder nehmen Abschied von ihrem Mitbewohner. Die Zeit nach dem Brand ist für Séverine schwierig. Sie holt sich psychologische Hilfe. Nach einem Jahr kauft sie sich einen Van und macht sich auf den Weg durch die Schweiz und Frankreich. Durch neue Begegnungen und die Mitarbeit bei freiwilligen Projekten kann sie die Brandnacht langsam verarbeiten.

Unter welchen Bedingungen ist die Rettung einer Person in Not noch möglich? Diese schwierige Frage mussten die Feuerwehrleute in der Nacht des Brandes rasch beantworten. In der nächsten Folge spricht ein Mitglied der Feuerwehr über seine Erlebnisse in der Nacht, als die Conciergerie des Poya-Schlosses in Flammen aufging.

Die bisherigen Folgen der Serie

RadioFr. - Yves Kilchör / Fabio Peter / iwi
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