"Er hat das Gefühl, dass die Bewohner schuld sind"
2019 kam beim Brand der Conciergerie des Poya-Schlosses eine Person ums Leben. Redaktor Yves Kilchör hat den Fall aufgearbeitet.
RadioFr. hat mit Betroffenen des Poyabrandes gesprochen. Alle Folgen der Serie sind auf RadioFr., auf Frapp und Spotify erschienen.
Monatelang hat Redaktor Yves Kilchör zum Brandfall Poya recherchiert, Beteiligte ausfindig gemacht, sie interviewt und Unterlagen der Polizei und Justiz studiert. In der letzten Folge der Serie spricht er mit Chefredaktor Mario Corpataux über seine Arbeit. Zudem gibt er Einblicke in das Gespräch mit einem Mitglied der Besitzerfamilie.
Mario Corpataux: Der Brandfall Poya ist tragisch. Wie fühlst du dich, nachdem du die Geschichte aufgearbeitet und erzählt hast?
Yves Kilchör: Es war nicht immer einfach. Die Geschichte ging mir emotional nahe. Sie war einige der wenigen, die mich als Redaktor über viele Monate begleitet hat. Einmal bin ich mitten in der Nacht aufgewacht, weil ich von einem brennenden Haus geträumt habe, aus dem die Leute rennen mussten. Für mich war klar, dass es die Verarbeitung von dem war, was ich gehört habe. Es war eine Last, aber jetzt geht es mir wieder gut.
Bevor wir die Geschichte ganz abschliessen können, bleibt eine Frage offen: Was ist mit der Besitzerfamilie? Das Haus gehört einer Aristokratenfamilie in Frankreich, einer Erbengemeinschaft. Konntest du sie kontaktieren?
Die Familie besteht aus zwei Stämmen. Einen Mann von einem der Familienstämme habe ich per E-Mail erreicht. Er hat mir geantwortet, dass er nichts zu dieser Sache sagen will. Vom anderen Stamm habe ich ebenfalls einen der Besitzer erreicht. Mit ihm konnte ich telefonieren. Er wollte nichts im Radio sagen, aber die drängendsten Fragen konnte ich klären.
Was hat er erzählt?
Er hat gesagt, er wolle keinen Streit auslösen. Er sei aber sicher, dass an diesem Abend ein Polterabend stattfand, Leute Alkohol getrunken hätten und die Person gestorben sei, weil sie in dieser Nacht nicht aufgewacht ist. Ausserdem verwies er auf das Gerichtsurteil.
Im Untersuchungsbericht und im Gerichtsurteil steht, dass die Brandursache unklar ist.
Er hat das Gefühl, dass die Bewohnerinnen und Bewohner schuld sind. Ihn hat gestört, dass Kantonspolizei und Justiz keinen Alkohol- und Drogentest angeordnet haben.
Aus welchem Grund denn nicht?
Zum konkreten Fall kann sich die Polizei nicht äussern. Allgemein gibt es laut ihr Drogentests, wenn eine Drittperson den Brand ausgelöst haben könnte. Das entscheiden die Polizistinnen und Polizisten vor Ort. In den Dokumenten steht aber nicht, ob es einen Drogentest gab. Diese Frage bleibt also offen.
Offen bleibt auch, weshalb die Besitzerfamilie nicht mit dem Staat kooperiert hat. Sie liess das Dach nicht sanieren. Der Staat hat deshalb Zwangsmassnahmen ergriffen.
Laut dem Besitzer hatte die Familie die Absicht, das Haus zu sanieren. Der Staat habe sich aber eingemischt und erzähle Lügen. Zudem sagte er, dass die Familie die erste Tranche für die Sanierung bezahlt habe. Der Kanton Freiburg hingegen sagt, das sei nicht der Fall.
Verschiedene Bewohnerinnen und Bewohner sagen, dass sie ihr Mietzinsdepot auch nach zwei Jahren noch nicht erhalten haben. Was sagte der Besitzer dazu?
Er wollte nichts dazu sagen. Ich glaube, die Familie hält das Mietzinsdepot zurück, weil sie die Bewohnerinnen und Bewohner für schuldig hält. Das Gerichtsverfahren dazu ist abgeschlossen und hält fest, dass die Familie die Mietzinskaution zurückbezahlen muss. Klar ist auch, dass die Brandursache unbekannt bleibt.
Das Haus war denkmalgeschützt. Die Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Denkmalschützer sprachen davon, dass die Wohnungen in einem schlechten Zustand waren. Weshalb hat die Besitzerfamilie das Haus kaum instand gehalten?
Der Denkmalschützer hat auch gesagt, dass die Behörden schon seit Langem versuchen, Kontakt mit der Familie aufzunehmen - ohne Erfolg. Der Besitzer ist der Ansicht, die Familie hätte genug getan. Die Wohnung sei zwar alt, aber in einem guten Zustand gewesen.
Das Dach wurde saniert, der Innenraum nicht. Weiss die Besitzerfamilie schon, wie es mit dem Haus weitergehen soll?
Darin wohnen ist nicht möglich, weil nur Notmassnahmen ergriffen wurden. Die Besitzer müssten etwas machen, wenn sie Pläne mit dem Haus haben. Aber ich konnte nicht herausfinden, ob sie etwas vorhaben.
Du hast lange mit dem Besitzer gesprochen. Weshalb wollte er nicht im Radio Stellung nehmen?
Das kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht spielt auch der Streit innerhalb der Familie eine Rolle. Womöglich befürchtete er, dass die Aufnahmen gegen ihn verwendet werden. Er hat nur gesagt, er wolle nicht streiten und kein Öl ins Feuer giessen. Zudem war er der Ansicht, dass diese Geschichte keinen journalistischen Wert hat. Ich habe ihm erklärt, dass wir mit allen sprechen und es mir wichtig war, dass eine Folge der Serie seiner Sichtweise gewidmet ist. Es ist eine verpasste Chance.
Was bleibt dir von dieser Recherche in Erinnerung?
Wie schlimm das für die Überlebenden ist und was es psychisch bedeutet, sein Leben neu sortieren zu müssen. Mir wurde bewusst, wie schnell sich das Leben verändern kann. Und wie es sich anfühlt, einen Kollegen, Mitbewohner oder Ehemann zu verlieren. Respekt habe ich für die Leistung der Feuerwehr, die Zivilcourage des Rekruten und die Bewohnerinnen und Bewohner. Zwei Jahre nach dem Brand sind wir auf sie zugegangen - kurz nachdem viele von ihnen das Geschehen verarbeitet haben. Es waren lange und schwierige Gespräche. Ihnen will ich das letzte Wort geben. Ich habe sie gefragt, ob es trotz der Tragik etwas Positives gab.
So lauteten ihre Antworten:
Daniel, Bewohner: Ich habe gelernt, damit umzugehen - das heisst, die Trauer zu konfrontieren - und konnte den Leuten gleichzeitig helfen.
Monika, Bewohnerin: Im Alltag will ich mich nicht mehr über Kleinigkeiten ärgern.
Séverine, Bewohnerin: Das gab mir den Anstoss, Dinge im Leben bald zu tun und nicht zu warten. Positiv war auch, dass die Menschen so solidarisch reagierten.
Rekrut: Meine Soldaten haben sich in weniger als zwei Minuten angezogen, sind zum Haus gerannt und haben so gut geholfen, wie sie nur konnten.
Sobia, Witwe: Freunde zu finden, war positiv - auch wenn ich sie nicht auf diese Weise kennenlernen wollte.
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