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Die «Massnähmchen» des Staatsrats werden zerzaust

Am Montag hat der Staatsrat seine Vorschläge für die Umsetzung der Pflegeinitiative präsentiert. Nun kommt aus allen politischen Lagern laute Kritik. Und von Direktbetroffenen.

Der Vorschlag zur Umsetzung der Pflegeinitiative der Staatsräte Philippe Demierre (Mitte) und Olivier Curty (rechts) findet wenig Anklang. © Antoine Vullioud
Für die Freiburger Regierung dürften schwierige Zeiten anbrechen. Am Montag haben die zuständigen Direktoren Philippe Demierre für die Gesundheit und Olivier Curty für die Berufsbildung stellvertretend ihre Vorschläge für die Umsetzung der Pflegeinitiative vorgestellt. Doch statt dem erhofften Beifall steht der Staatsrat nun im Gegenwind.
Bereits kurz nach der Pressekonferenz waren es vor allem linke Parteien und Gewerkschaften, die ihrem Frust mit Communiqués Luft machten.
Die Gewerkschaft VPOD schrieb: «Diese Empfehlungen zeigen, wie gross der Rückstand ist, der aufgeholt werden muss.» Der VPOD blies zum Frontalangriff – und erhob einen schwerwiegenden Vorwurf: Nicht nur liege der fertige Bericht dem Staatsrat seit März 2023 vor – er habe auch unliebsame Passagen zu Lohnempfehlungen für das Pflegepersonal komplett umgeschrieben. «Ganze Passagen des ursprünglichen Berichts wurden schlicht gestrichen», schreibt der VPOD. Dieses Vorgehen sei völlig unangemessen. Nun müsse der Staatsrat handeln «und sich nicht weiter hinter den Massnahmen des Bundes verstecken, die erst in einigen Jahren umgesetzt werden».

Berufsverband ist zutiefst enttäuscht

In eine ähnliche Kerbe schlägt der Freiburger Ableger des Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK. «Die Studie wurde Ende Februar 2023 fertiggestellt», schreibt Vizepräsident Laurent Zemp auf Anfrage, «Jetzt, im September 2024, also 18 Monate später, veröffentlicht der Staatsrat endlich die für ihn offensichtlich unbequemen Ergebnisse».
VPOD wie Zemp beziehen sich in ihren Aussagen auf den Bericht, den der Staatsrat bei der Freiburger Hochschule für Gesundheit HEdS in Auftrag gegeben hatte. In diesem Bericht hat die HEdS 20 Massnahmen definiert, um die Abwanderung der Pflegefachpersonen aus dem Beruf zu bremsen. Doch nur weil die HEdS 20 Massnahmen eruiert hat, heisst das nicht, dass der Staatsrat auch alle umsetze. Im Gegenteil, sagt Zemp: «Es sind nicht deren 20, sondern nur zwei!»
Konkret habe der Staatsrat bisher nur die Unterstützung angehender Pflegefachpersonen mittels Stipendien und des Freiburger Spitals HFR mit der Schaffung eines «mobilen Pflegeteams» zur Kompensation von Krankheitsausfällen angekündigt. «Während die Stipendien eine willkommene Verbesserung sind, ist die zweite Massnahme eine simple institutionelle Organisationsmassnahme, die nichts Aussergewöhnliches darstellt», so Zemp.
Nach 18 Monaten «intensiver Überlegungen» hätte der Berufsverband SBK vom Staatsrat schlicht «mehr erwartet» und sei «zutiefst enttäuscht». Zumal die Kantone Waadt und Wallis für die Umsetzung der Pflegeinitiative deutlich mehr Geld in kürzerer Zeit investieren: die Waadtländer 90 Millionen Franken in vier Jahren, die Walliser 42 Millionen Franken in drei Jahren.
Für Simon Zurich sind die Stipendien nicht einmal der Rede wert. Er ist Grossrat für die SP und Vizepräsident der Westschweizer Patientenstelle. Obwohl der Bericht der HEdS zielführende Massnahmen identifiziere, setze der Staatsrat mit dem mobilen Pflegeteam eine einzige Massnahme um – die zudem bereits seit 2011 existiere. Der Staatsrat, sagt Zurich, sollte Lösungen für die Freiburger Bevölkerung finden. Stattdessen sorge er nun genau bei jenen Personen für Unmut, die sich um die alternde Bevölkerung kümmern sollen. «Die Pflegefachpersonen und alle Freiburgerinnen und Freiburger, die die Pflegeinitiative unterstützt haben, haben das nicht verdient.»
Aber auch im bürgerlichen Lager wird Kritik laut – wenn sie auch nicht ganz so laut geäussert wird.

Dem Staatsrat fehle eine echte Vision

«Beim Lesen dieser Massnahmen, oder besser gesagt, Massnähmchen, habe ich das Gefühl, dass unser Kanton im Bereich der Gesundheitspolitik, der Aufwertung der Pflege und der Aufwertung der Gesundheitsberufe überhaupt nicht ehrgeizig ist», schreibt etwa Estelle Zermatten auf Anfrage. Sie ist FDP-Grossrätin und kennt das Terrain als Pflegefachfrau. «Der Staatsrat nimmt die Problematik nicht ernst und leitet kleine Dinge in die Wege, um den Eindruck zu erwecken, dass er handelt», sagt sie.
Die Vorschläge des Staatsrates liessen darauf schliessen, dass er schlicht keine klare Vorstellung davon habe, was er unternehmen und umsetzen wolle, um die Attraktivität des Berufs zu gewährleisten. «Hätte der Staatsrat eine echte Vision», sagt Zermatten, «wären die Vorschläge viel konkreter!»
Doch nicht alles liege im Argen. Die Stipendien beispielsweise seien nicht schlecht, nur müsse der Staatsrat zudem dafür sorgen, dass ausgebildete Pflegefachpersonen auch längerfristig im Beruf bleiben.
Völlig unzureichend seien indes die Vorschläge zur Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben. «Angesichts der unregelmässigen Arbeitszeiten könnte es ehrgeizigere Vorschläge geben», sagt Zermatten. Zum Beispiel die Zustellung der Dienstpläne mindestens acht Wochen im Voraus, damit Pflegefachkräfte ihre private und berufliche Organisation gewährleisten könnten.
Christian Clément geht ebenfalls auf die Vorschläge zur Vereinbarkeit ein. Und auch er nicht zwingend im Guten. «Die eingebrachten Vorschläge reichen nicht aus», sagt der Fraktionschef der Mitte im Grossen Rat. «Der Staatsrat sollte darüber nachdenken, die Rahmenbedingungen zu modernisieren und mehr Flexibilität zuzulassen, sich auf eine bessere Bezahlung zu konzentrieren und vor allem Arbeitgebern wie dem HFR mehr Spielraum zu geben, um besser auf die Bedürfnisse des Personals eingehen zu können», so Clément.
Trotzdem hält er auch fest, dass «das Pflegepersonal in Freiburg besser bezahlt» werde als in anderen Kantonen. Dabei beruft er sich auf einen Bericht des Westschweizer Fernsehens RTS. Und trotzdem müsse der Staatsrat «die Rufe hören, wenn der Kanton nicht in eine immer schwierigere Lage geraten will».
Auch andere stellen sich die Frage nach dem Lohnvergleich.

Bürgerliche kritisieren andere Punkte

Daniel Savary ist Initiant der kantonalen Spitalinitiative, die im Juni abgelehnt worden war und ist kürzlich für die GLP in den Grossen Rat nachgerückt. Dort ist er bereits mit mehreren gesundheitspolitischen Vorstössen aufgefallen.
«Zunächst einmal ist klar, dass die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals verbessert werden müssen», schreibt Savary auf Anfrage, «und die angekündigten Massnahmen gehen in diese Richtung». Das sei grundsätzlich zu begrüssen – trotzdem verlangt er zusätzliche Informationen vom Staatsrat, «damit der Grosse Rat in voller Kenntnis der Sachlage über die Problematik des Pflegepersonals im Kanton diskutieren kann». Denn nicht in Sachen Lohn gebe es Klärungsbedarf, auch was den mutmasslichen Fachkräftemangel angehe, lägen widersprüchliche Informationen vor. Er habe deswegen im Parlament diverse Vorstösse eingereicht.
Auch SVP-Fraktionschef Flavio Bortoluzzi findet die Vorschläge des Staatsrats auf den ersten Blick «löblich». Doch er äussert genauso Kritik – wenn sie auch in eine andere Richtung zielt. Bortoluzzi schreibt: «Leider ist bei der genaueren Analyse festzustellen, dass versucht wird, fast schon endlos vielen Interessen Rechnung zu tragen und vor lauter Vorschlägen das Kernanliegen, die Stärkung der Pflege mit zufriedenen Pflegefachleuten, in den Hintergrund tritt.» Die Gegenargumente des Abstimmungskampfs bewahrheiteten sich nun: eine Vergrösserung des Verwaltungsapparats und damit einhergehend höhere Kosten zulasten der Allgemeinheit. Und all das mit dem Risiko, so Bortoluzzi, «dass bei den Patienten trotz der vielen Massnahmen und Mehrkosten wenig ankommen wird».
Bei Andreas Freiburghaus hält die «positive Verwunderung» ebenfalls nur kurz an. Der Präsident des Gemeindeverbandes Gesundheitsnetz Sense begrüsse es, dass der Staatsrat Massnahmen präsentiert habe und ergreifen wolle. Doch die Massnahmen legten ihren Fokus zu stark auf die tertiären Ausbildungen. «Dasselbe Gewicht müsste man den primären Ausbildungen wie Fachangestellte Gesundheit beimessen», schreibt Freiburghaus.
Es werde sich zeigen, ob eine Ausbildungspflicht der Institutionen in der Grundbildung den gewünschten Effekt erziele. «Bei den Berufsbildnern muss die Begeisterung zur Ausbildung junger Personen mitschwingen», sagt er. Denn: «Diese Begeisterung kann man nicht verordnen.»
Gespannt ist Freiburghaus indes auf die Einführung des mobilen Pflegeteams – und auf das Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit FNPG. Dies seien gute Ansätze zur Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben.
Aufgrund der Reaktionen – insbesondere jener der Parteien – dürfte der Staatsrat in den kommenden Wochen noch die eine oder andere Frage zu beantworten haben.
Freiburger Nachrichten - Redaktion / Adrien Woeffray
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