«Holt ihr euch den Kick auch ausserhalb des Boxens?»
Was Jung und Alt verbindet, wie Senioren zu Jugendlichen stehen und was junges Gemüse von der Kraft gereifter Weisheit ziehen kann und umgekehrt - das möchte Frapp wissen.

So viel vorweg: So anders sind die Generationen gar nicht, und ja, den momentanen Umständen zum Trotz oder sei Dank: da müssen wir alle gemeinsam durch! Hauptsache, verbindlich, verständnisvoll und in einem respektvollen und spielerischen Umgang.
Im vierten Teil der Serie Generationen im Gespräch begegnen sich zwei Kämpfer im Haifischbecken vom Shark Gym: Im Thaibox-Ring stehen Adrian Bächler, 43 und der motivierte Youngster Ethan Vetter, 13.
Der Düdinger Adrian Bächler betreibt seit 10 Jahren sein eigenes Sportstudio Shark Gym in Faoug. Es hat ihn vor 20 Jahren ins Murtenbiet verschlagen. Mit mehreren europäischen und schweizerischen Titeln als Thai Boxer hat er seine Berufung zu seinem Beruf gemacht. Normalerweise führt Bächler aber einen Trainingsbetrieb mit etwa 200 Schülern – darunter auch Mädchen und Frauen. Die jüngsten sind 8 Jahre alt, der älteste knapp 60. Zudem organisiert der Thai Boxer regelmässige Camps, auch in Thailand.
Zurzeit sind im Kontaktsport allerdings nur Kindertrainings möglich. Alle anderen Lektionen, ob in Gruppen oder privat, sind wie jede Feierlichkeit zum zehnjährigen Jubiläum abgesagt. Auch Kämpfe oder Trainingslager sind verboten – umso tröstlicher sind die kleinen Begegnungen von zwei Sportlern wie Adrian Bächler und Ethan Vetter. 30 Jahre Altersunterschied trennen die beiden zwar, das Muay Thai vereint sie aber.
Wenn ihr euren Kick braucht, holt ihr euch den auch ausserhalb des Boxens? «Ja, ich lese etwas, schaue Serien und sammle Filme, aber eigentlich gebe ich komplett alles fürs Thai Boxen», sagt Ethan aus Payerne und sein Trainer meint: «Du bist einer meiner motiviertesten Schüler, mit deinen vielen Trainings holst du dir wohl genügend Kicks im Leben.» Adrian selber hört, macht viel und intensiv Musik, hat neben dem Fernweh nach fremden Kulturen und Reisen eine neue Leidenschaft fürs Segeln entdeckt: «Das geht gut auf dem Murtensee, ich vermisse das Segeln auf dem Meer trotzdem. Wir werden sehen, wie das geht nach dieser Corona-Geschichte.»
Beide Generationen trainieren den Umständen entsprechend mehr oder weniger hart. Adrian Bächler kann Ethan als sein Vorbild neben dem Sport auch etwas von der Lebensschule vermitteln, indem er ihm den Respekt, die Technik und die Haltung hinter dem traditionell tief verwurzelten Thai Volkssport weitergibt und vorlebt.
Welcher Ausdruck gefällt euch am meisten? «Chok dee ist ein Begriff in Thai. Ich liebe das Wort und es ist vielen bekannt. Es heisst, jemandem viel Glück zu wünschen, ihm Glück auf den Weg mitzugeben. Ich finde das schön. Nach all den vielen Begegnungen in Thailand hat man mir das immer gewünscht. Ein Chok dee geht auch für ein Santé», sagt Adrian, der sich den Ausdruck auf das linke Schienbein tätowieren liess.
«Mein linker Kick war und ist immer meine beste Waffe. Wenn du also im Kampf mein tätowiertes Chok dee noch lesen kannst, dann warst du zu spät», warnt Adrian mit einem Augenzwinkern. Seine zweite Stärke ist der linke Leberhaken – mit diesen beiden effektiven Techniken hat er auch schon Kämpfe durch K. o. gewonnen. Ethans Stärke hingegen ist der rechte Kick: «Ich glaube, da bin ich manchmal gut drin. Und mit dem eingesprungenen Knie.» «Kao loy heisst das in Thai, und darin bist du echt stark», lobt ihn Adrian.
Ethan rät jedem angehenden «Nak Muay», Thaiboxer auf Thai, viel Disziplin, die Gabe, durchzuhalten und einen starken Charakter. Aus seiner langen Eigenerfahrung weiss Adrian: «Wenn deine Moral bereit ist, nicht sofort aufzugeben, dein Verstand, dein Wille stark sind, und du als Kämpfer Herz hast, dann bekommst du so viel von diesem Sport zurück. Muay Thai ist ein kompletter Sport, geht von Kondition zu Konzentration, über die Schnelligkeit bis zu Beweglichkeit.»
Im Ring das Thaiboxen, auf dem Teller Thaiessen? Ethan hat ganz schnell sein Lieblingsgericht auf der Zunge, das er in einem Shark Gym-Lager schätzen gelernt hat: «Krapao gai kai dao» Wie bitte nochmals? «Poulethackfleisch mit Reis, thailändischem Basilikum und einem Ei obendrauf», präzisiert Ethan sein bevorzugtes Menu, das er auch ohne weitere Sprachkenntnisse bestellen kann – nur an der Aussprache müsse er noch arbeiten ;-) und wohl an der Entzifferung auf der Menukarte: กระเพราไก่ไข่ดาว. Adrian mag die ganze Palette an Geschmäckern und Kräutern aus der Thai-Küche, die dem Gaumen geboten werden, weil sie so vielfältig sind von scharf, süss bis sauer.
Im Zeichen von «respect all, fear none» kommt die Frage nach Respekt auf. Ethan hat vor wenig Dingen Angst, aber Respekt: «Gegenüber meinen Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie gegenüber meinem Boxtrainer.» Adrian bedankt sich dafür, unterstreicht das und präzisiert: «Du hast immerhin schon Kämpfe ausgetragen. Du bist sehr jung, da ist es nicht so einfach, einen Gegner für dich zu finden», sagt Adrian. «Aber hast du noch nie Angst gehabt, wenn du weisst, dass dein Gegner dir überlegen ist?» fragt er Ethan. «Nicht so sehr. Nur einmal in München, da konnten sie keinen geeigneten Gegner aus meiner Kategorie finden. Ich musste gegen einen aus einer höheren Gewichtsklasse angetreten. Der war riesig. Am liebsten wäre ich davongelaufen», erinnert sich Ethan, der den Kampf bis zum Schluss gemeistert hat.
Adrian unterstreicht den Respekt, auch jenen gegenüber dem Gegner: «Deinen Gegner respektvoll einzuschätzen und zu schätzen, genauso wie Eltern, Trainer und jedes Lebewesen. Das hilft im Allgemeinen und auch im Kontaktsport, nicht überheblich zu sein, sein Gegenüber nicht zu unterschätzen.» Eine gewisse Angst hat sich bei Adrian dennoch eingeschlichen, nämlich die vor der jetzigen Situation: «Ich frage mich, was mit uns passiert. Und ich frage mich, wie weit das alles noch geht.»
โชคดี - Chok dee, viel Glück, das bleibt ganz fest zu wünschen: ein Chok dee pro Kick, millionenfach, präzise an den Boxsack geschlagen – am besten mit einem fetten «lucky punch» kombiniert, damit die Leute endlich wieder in den Ring steigen dürfen und die Thaibox-Familie im und neben dem Ring wieder zusammenkommt.
Weil alle Jubiläumsfeierlichkeiten von Shark Gym ausfallen und weil ein ganz fieser Käfer den ganz grossen Kick verdient hätte (wir sagen nicht wohin), dürfen wir uns mit einem visuellen Rundumschlag von Adrian Bächler hinwegtrösten.