"Wenn ich Bock habe, mache ich auch Hocker oder Kissen"

Laurent Hermann Progin: Modedesigner mit Leidenschaft für ungewöhnliche Materialien. Ein Blick hinter die Kulissen seiner kreativen Welt.

Laurent Hermann Progin in seinem Atelier in der ehemaligen Wohnung seiner Grossmutter in Tafers. © Frapp

Vergesst die gängigen Klischees über Kreativität– in unserer Interview-Serie geht es um coole Köpfe aus verschiedenen kreativen Sphären, die ihre Leidenschaft über Normen stellen. Wir stellen euch wahre Visionärinnen und Visionäre vor, deren Herz für das Unkonventionelle schlägt. Heute mit:

Laurent Hermann Progin

Modedesigner / 33 Jahre / aus Tafers / @laurenthermannprogin

Er arbeitet an Projekten im Interior- und Modebereich unter seinem eigenen Modelabel «Laurent Hermann Progin», sowie als Freelance Designer im In- und Ausland für Kunden in unterschiedlichen textilen Branchen. Nebenbei arbeitet er als Art Director und Stylist an Modestrecken und entwirft Kostüme für Theater- und Kunstperformances.

Nadina Schneuwly, RadioFr. und Frapp: Ab wann war für dich klar, dass du Modedesigner werden willst?

Laurent Progin: Das war etwas, was mich schon früh verfolgt hat. Anfang Primarschule wollte ich noch Coiffeur werden (lacht). In der OS hatte ich dann das Gefühl, ich muss in Richtung Modedesign gehen. Ich habe an dem festgehalten: Nach dem Collège habe ich den gestalterischen Vorkurs an der Hochschule Luzern gemacht und anschliessend an der Hochschule für Kunst und Gestaltung in Basel Modedesign studiert.

Was fasziniert dich an Stoff?

Ich glaube, es ist die Materialität - und die Möglichkeiten, die man damit hat. Es ist nicht eine "flache" Gestaltung. Ich mache auch immer noch sehr viele grafische Sachen wie Textilprints. Mir hat jedoch die Erfahrung gezeigt, dass ich das Volumen früher oder später vermisse. Ich möchte damit an den Körper oder in den Raum gehen, damit es dreidimensional stattfindet.

Du hast ein eigenes Label: "Laurent Hermann Progin". Wie würdest du das beschreiben?

Es ist für mich ein Leidenschaftsprojekt, das mir extrem viel gibt. Mir ist sehr wichtig, dass ich gewisse Themen, wie Nachhaltigkeit, einfliessen lasse, aber mich nicht darüber definiere. Ich gehe spielerisch an die ganze Sache ran. Es ist nicht so, dass ich ein Konzept habe, dass ich so und so viele Teile mache, oder mich rein auf Kleidungsstücke beschränke.

Es ist für mich sehr offen und ich mache wirklich das, worauf ich Lust habe.

Wenn ich Bock darauf habe, gibt es irgendwelche Hocker oder Kissen.

Was haben Körper und Räume gemeinsam?

Es ist für mich eine sehr ähnliche Herangehensweise. Ich habe in den letzten Jahren sehr viel freiberuflich gearbeitet und bin ungewollt etwas mehr in das Thema Inneneinrichtung reingekommen. Dann habe ich gemerkt, dass mir das extrem viel Spass macht und dass man sehr ähnlich arbeiten kann.

Wie ist deine Herangehensweise, um etwas Neues zu schaffen?

Das ist nichts Fassbares. Ich glaube, es hat sehr viel damit zu tun, dass du offen bist und mit offenen Augen durch die Welt gehst - und eigentlich alles um dich aufsaugst. Für mich gibt es dann immer so eine Initialzündung, wo ich das Gefühl habe: "Hey, das ist ein Thema. Ich setze mich jetzt damit auseinander". Dann kann ich zielgerichtet recherchieren. Ich glaube, es hat auch sehr viel mit Lust zu tun.

Gibt es manchmal auch Unlust - oder kreative Blockaden? Wie gehst du damit um?

Ich glaube, es gehört zum kreativen Prozess dazu, dass du auch mal Phasen hast, wo du nichts machst - und das auch zulässt. Am Anfang habe ich recht Mühe damit gehabt. Da ich gerne zu tun habe und unterwegs bin. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das einfach dazugehört.

Es ist sehr wichtig für einen kreativen Prozess, dass man sich Pausen gönnt und sich bewusst macht, dass man keine Maschine ist.

Hast du eine geheime Energiequelle, ein magisches Elixier, wenn du zeitweise eine Maschine sein musst und eine Nacht ohne Schlaf auskommen musst?

Ganz sicher Kaffee, das geht immer (lacht). Und ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass ich sehr gerne belanglose YouTube-Videos schaue, auch während dem Arbeiten. Ob Make-up-Videos oder Haus-Renovationen, damit kann ich gut abschalten. Es ist wie das Hirn einmal zu lüften.

Welches war dein bisher aufregendstes Projekt, das du umgesetzt hast?

Es ist oder sollte immer das Letzte sein, was man gemacht hat. Gerade jetzt habe ich eine Rauminstallation für die Design Biennale Zürich gemacht: Ein offener Pavillon mit Vorhängen aus alten Sonnenstoren. Es war für mich etwas Neues, in dieser Grösse zu arbeiten und hat mir viele Türen für zukünftige Projekte geöffnet. Aber es ist natürlich auch toll, sichtbar zu sein im Botanischen Garten in Zürich.

Die Design Biennale Zürich findet noch bis am 19. September 2023 statt. Montag bis Sonntag, 7 - 19 Uhr, Eintritt frei.

Laurent ist für den Förderpreis "Talent Award by Swiss Re" nominiert. Jetzt bis am 14. September mittags für ihn abstimmen und mit etwas Glück einen der tollen Preise gewinnen: Voting Talent Award

Welches war das ungewöhnlichste Material, das du jemals in einem Design verwendet hast?

Das war jetzt ganz spannend mit den Sonnenstoren-Abschnitten, die eigentlich bereits im Abfall waren beim Produzenten.

Ich bin sehr angezogen von ungewöhnlichen Materialien, die mich irgendwie irritieren - oder solchen, die man nicht unbedingt im Bekleidungskontext kennt.

Die Frage, wie ich damit etwas machen kann, steht auch immer am Anfang meines Prozesses.

Hast du noch ein anderes Beispiel?

Ich habe sehr viel mit alten Wolldecken und Bettwäsche gearbeitet. Also wirklich alte Stoffe, die keinen Nutzen mehr haben. Ich habe mich gefragt, wie ich das in einen Modekontext bringen kann und habe einen Mantel, einen Rock, Kissen und einen Stuhl damit gemacht. Taschen auch. Diese haben jedoch nicht funktioniert, weil das Material nicht robust genug war.

Wenn du ein Kleidungsstück aus der Geschichte zurückholen könntest, welches heute nicht mehr so gibt, welches wäre das?

Die Kleider von Cleopatra. Grundsätzlich interessieren mich alte Sachen, um zu schauen, wie man sie in die heutige Zeit bringen könnte.

Gibt es auch Modesünden, die man bestrafen müsste in deinen Augen?

Ich habe grundsätzlich die Haltung, dass jeder machen soll, was er will. Jeder soll sich wohlfühlen in dem, was er anhat. Grundsätzlich gibt es für mich kein No-Go.

Welche aktuellen Modetrends findest du besonders spannend oder inspirierend?

Im Moment passiert sehr viel. Vieles ist möglich: Vintage, sportlich... Die Leute sind sehr spielerisch im Umgang mit Mode und ziehen an, auf was sie gerade Lust haben. Grundsätzlich finde ich es gut, dass man ein bisschen weggekommen ist von den Skinny-Jeans. Es ist nicht nur eine ästhetische Entscheidung, sondern auch eine Tragen-Komfort-Entscheidung.

Ich weiss nicht, wie wir uns dazu zwingen konnten, so enge Hosen anzuziehen.

Was ich grundsätzlich problematisch finde, sind die ganzen Mikro-Trends auf TikTok und Social Media, die nur ein paar Wochen "in" sind, und dann sind sie weg.

Instagram @laurenthermannprogin

Von der ersten Designidee bis zur finalen Kollektion: Wie lange dauert dieser Prozess in der Regel?

Bei grossen Firmen im Fast Fashion Bereich dauert das drei Wochen, was recht heftig ist, weil das wird ja nicht irgendwo lokal produziert, sondern vor allem in Asien. Der grosse chinesische Player "Shein" schafft es sogar innerhalb von zehn Tagen. Die grossen Marken, die sich auch Zeit lassen für die Entwicklung einer Kollektion, brauchen rund acht Monate. Es ist also ein längerer Prozess und man arbeitet teilweise gleichzeitig an mehreren Projekten. Während eine neue Kollektion entwickelt wird, muss die Produktion der vorherigen auch noch gehändelt werden.

Welche Aspekte der Modewelt müssen Designer berücksichtigen, die für andere vielleicht nicht so offensichtlich sind?

Das grosse Thema ist natürlich die Nachhaltigkeit von dem Ganzen. Die Modeindustrie gehört zu den verschmutzendsten für die Welt. Es hat sehr viel damit zu tun, was Konsumierende für einen Bezug zur Kleidung an sich haben. In den letzten Jahren wurden Kleidungsstücke zu Werkwerfartikeln, und etwas, was jederzeit verfügbar ist - und bezahlbar verfügbar ist. Dementsprechend wird natürlich viel produziert und es landet auch viel im Abfall.

Es geht nicht darum, dass man sich mega teure Kleidung kauft, sondern dass man sich als Konsumierende bewusst entscheidet.

Dass man vielleicht auch ein bisschen mehr Geld in ein Kleidungsstück investiert, dafür weiss, wo, wie und mit welchen Materialien es produziert wurde. Und wenn ein Kleidungsstück kaputt ist, muss man es nicht wegwerfen, sondern kann es flicken. Wenn es Flecken hat, kann man es irgendwie versuchen zu retten oder irgendetwas anderes daraus zu machen. Es geht einfach darum, dass man so ein bisschen zurückkommt, wie es früher war.

Als Designer musst du dir bewusst sein, dass du in einer Industrie arbeitest, die verschmutzend ist.

Ich glaube, man muss eine Haltung dazu haben. Nachhaltigkeit ist in meinem Prozess eine Selbstverständlichkeit. Ich finde es aber auch falsch, mich darüber zu definieren. Es gibt sehr viele Labels, Marken oder Personen, die das tun.

Worauf achtest du persönlich, wenn du selbst Mode kaufst und trägst?

Klar, auch ich habe mir schon Sachen gekauft, die ich nicht getragen habe. Ich glaube, es ist ein Prozess. Mittlerweile kaufe ich nur Sachen, bei denen ich weiss, dass ich Freude daran habe - nicht nur sechs Monate. Ich konsumiere auch sehr viel Secondhand, und das schon sehr lange sowie in allen Bereichen: Möbel, Geschirr, Kleidung und alles mögliche.

Es gibt schon sehr viele Sachen auf der Welt. Wenn ich etwas Secondhand finde, was mir gefällt, warum sollte ich es dann neu kaufen?

Gibt es ein bestimmtes Modehaus oder Label, von dem du beeindruckt bist, und das du gerne besitzen würdest?

Das ist eine gute Frage (lacht)! Ich bin sehr fasziniert von alten französischen Häusern. Modelabels mit einer krassen Geschichte, wie Dior oder Chanel, finde ich sehr spannend. Nicht unbedingt, was sie machen, aber die ganze Geschichte hinter einem Label. Wenn ein neuer Kreativ-Chef ein Haus übernimmt und je nachdem etwas Neues macht, aber sich auch mit der Geschichte des Labels auseinandersetzt.

Du warst ja selber in Paris bei Jean-Paul Gaultier...

Es war für mich ein grosses Ziel, für diese Firma zu arbeiten. Das sechsmonatige Praktikum war Teil meines Studiums.

Ich habe dann ganz utopisch gesagt, dass ich zu Jean-Paul Gaultier möchte.

Das war für mich das Ultimative. Irgendwie hat es geklappt, dass ich dort für das Praktikum gelandet bin und tatsächlich anschliessend auch noch dort arbeiten konnte. Es war eine extrem tolle Erfahrung, auch mit ihm direkt zusammen zu arbeiten und zu sehen, wie sein Prozess ist. Ich habe auch sehr viele Celebrities gesehen, weil er natürlich sehr viele bekannte Freunde hat. Ich erinnere mich an den speziellen Moment, als Rihanna an eine Show kam. Ich stand dort mit meinem Arbeitskollegen und sie steigt aus dem Auto - und trägt etwas aus der Kollektion, die wir entworfen haben! Da habe ich mich sehr, sehr gefreut.

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Welchen Rat würdest du jungen, aufstrebenden Modedesignern geben, die in die Branche einsteigen möchten?

Es ist wichtig, sich selber treu zu bleiben und herauszufinden, was man erreichen möchte oder wie man sich in diesem ganzen Konstrukt positioniert, sodass man fokussiert arbeiten kann. Es ist nicht etwas, was man von Anfang an wissen muss. Ich glaube, das ist ein Prozess, und ich würde auch sagen, dass dieser Prozess bei mir nicht abgeschlossen ist. Es ist sehr wichtig, dass man Leidenschaft hat für den Beruf, sonst macht man es nicht. Man arbeitet teilweise sehr viel - und es ist auch finanziell gesehen nicht unbedingt das attraktivste. Darum braucht es auch Leidenschaft, damit man durchhält.

Das sagt Laurent Hermann Progin zu …

Haute Couture? Sehr elitär, aber sehr spannend und kreativ.

Jogginghose? Sehr situationsabhängig, ob ich es gut finde. Es kommt auf die Jogginghose an, kann aber mit High Heels super aussehen.

Modegiganten? Fast Fashion ist ein System, von dem wir uns längerfristig verabschieden müssen.

Streetwear? Extrem inspirierend und Grundlage für sehr viele Modekollektionen.

Abendkleider? Ich liebe Abendkleider: Je pompöser, desto besser.

Vintage-Mode oder Retro-Trends? Sehr inspirierend.

Nachhaltige Materialien? Sehr diffus, weil sehr viele Materialien, die als nachhaltig gelabelt werden, es nicht sind. Wir müssen uns darum zu kümmern, wie (!) konsumiert wird.

Tiermuster-Trends? Ich liebe guten Leopardenprint.

Tierfreundliche Mode? Es ist wichtig, von Tiermisshandlung wegzukommen. Veganes Leder, oftmals mit viel Plastik verbunden, ist nicht die Lösung.

Modeshow? Ein sehr wichtiger Anlass in der Kreation einer Kollektion, der im Ursprung dem Verkauf der Teile diente. Heutzutage geht es mehr um Profilierung.

Influencer-Kollaborationen? Sehr spannend. Man muss sich mit seinem Gegenüber auseinandersetzen.

Online-Shopping? Ich gehe lieber physisch in einen Laden, um das Kleidungsstück zu berühren und die Materialität zu spüren, aber teilweise ist Online-Shopping einfacher, weil zielgerichteter.

Massgeschneiderte Kleidung? Etwas verloren gegangen, aber extrem schön. Da kennt man die Wertigkeit des Kleidungsstücks.

Ich glaube, es gibt nichts Besseres als ein perfekt sitzendes Hemd oder perfekt sitzende Hose.

Upcycling? Das ist in meinem Prozess sehr wichtig. Das Wort an sich ist etwas schwierig, weil man davon ausgeht, dass das Ausgangsmaterial weniger Wert hat als das, was man damit macht. Darum geht es nicht.

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Trends vs. zeitlose Eleganz? Es gibt auch in der zeitlosen Eleganz Trends. Ich glaube nicht, dass es etwas in der Bekleidung gibt, das für immer funktioniert. Trends sind abhängig vom Zeitgeschehen. Das wirkt sich auch auf die Kleidung aus. Ich glaube, Trends wird es immer geben. Was ich einfach schwierig finde, sind Mikro-Trends, also Dinge, die nur für zwei-, dreimal Tragen da sind.

RadioFr. / Frapp - Nadina Schneuwly
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