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"Das war keine Heldentat"

2019 kam beim Brand der Conciergerie des Poya-Schlosses eine Person ums Leben. Der Rekrut Lionel rettete mehrere Personen.

Über diese Treppe gelangte Lionel in den ersten Stock des brennenden Hauses. © Frapp

RadioFr. hat mit Betroffenen des Poyabrandes gesprochen. Alle Folgen der Serie erscheinen fortlaufend auf RadioFr. und sonntags als ganzer Podcast auf Frapp und Spotify.

Es ist vier Uhr morgens. Wachkommandant Lionel ist müde und beschliesst, vor der Poya-Kaserne eine Zigarette zu rauchen. Ausser dem 19-Jährigen halten nur noch zwei Soldaten Wache. Lionel hört ein Piepen. "Es klang wie die Alarmanlage eines Autos", sagt er. Der Wachkommandant nähert sich dem Zaun der Kaserne. In diesem Moment sieht er, dass die Conciergerie des Poya-Schlosses brennt. Aus einem der Fenster im ersten Stock dringen Flammen.

Sofort greift Lionel zum Handy und ruft die Feuerwehr an. In 15 Minuten sei sie vor Ort, heisst es. Zu lange, denkt Lionel. Er rennt in die Kaserne und weckt die Soldaten - darunter seinen Bruder. "Ich habe ihnen gesagt, sie sollen Feuerlöscher und Löschdecken mitnehmen." Sekunden später ist er wieder draussen und auf dem Weg zum brennenden Haus. Vor der Conciergerie stösst er auf einen Mann, der um Hilfe ruft. Gemeinsam gehen sie zum Haus.

Sie klopfen an die Tür und helfen den Bewohnerinnen und Bewohnern, das Haus zu verlassen. "Wir wussten nicht, wie viele Leute im Haus waren und ob jemand eingesperrt war", sagt Lionel. Zwei WGs teilen sich zum Zeitpunkt des Brandes die alte Conciergerie des Poya-Schlosses. Es handelt sich um ein altes, baufälliges Haus aus dem Jahr 1912 im Besitz einer französischen Aristokratenfamilie.

Versperrte Wege

Lionel versucht, in den oberen Stock zu gelangen. Doch eine Treppe auf der Seite des Hauses steht schon in Flammen - zu gefährlich für Lionel. Stattdessen nimmt er die Treppe im Innern des Hauses. Oben angekommen, steht er vor einer Tür. Er fasst an den Türgriff und verbrennt sich leicht die Hand. "Das hat mir Angst gemacht." Lionel steht unter Stress. Rauch und Hitze trüben seine Sinne.

Er verlässt das Haus wieder. Die Feuerwehr ist nach wie vor nicht da. Dafür ist die Polizei vor Ort. Einem Polizisten erklärt er die Situation. Danach kehrt er mit ihm zusammen nochmals zurück in den oberen Stock des Hauses. Dort gibt es nach wie vor kein Weiterkommen.

Draussen kümmern sich die Soldaten um die Bewohnerinnen und Bewohner, die das Haus verlassen konnten. Schliesslich entfernt sich die Gruppe vom Haus, weil die Lage zu gefährlich wird. Im Verlaufe der Nacht wird klar, dass einer der Bewohner das Haus nicht rechtzeitig verlassen konnte. Bei ihm handelt es sich sogar um einen Kollegen der Feuerwehrleute, die mittlerweile im Einsatz stehen.

Schuldgefühle

Die Polizisten möchten von Lionel wissen, ob sie die Anwesenden in der Kaserne befragen können. Auch Lionel muss später eine Aussage auf dem Polizeiposten machen. Die Polizisten begleiten ihn zudem zur Brandruine. Vieles sieht anders aus, als Lionel es sich in der Nacht des Brandes vorgestellt hat. "Ich habe gemerkt, dass sich rechts und links von der Tür weitere Türen befanden." Lionel verspürt Gewissensbisse. Hätte er die verstorbene Person retten können?

Lionel fährt mit der Rekrutenschule in der Poya-Kaserne fort. Jeden Tag sieht er die Brandruine. Mit seiner Familie und seinen Freunden spricht er kaum über die Ereignisse. Dafür geht er sie häufig im Kopf durch. Seine eigenen Handlungen hinterfragt er ständig. "Das war keine Heldentat", sagt er. Schliesslich sei eine Person ums Leben gekommen. Erst der Hinweis, dass auch die Feuerwehr die Situation als zu gefährlich einstufte, um die Person im Haus zu retten, nimmt ihm einen Teil seiner Schuldgefühle.

Der Brand der Conciergerie des Poya-Schlosses bringt nicht nur das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner und jenes von Lionel durcheinander. Sobia lebt zwar in Pakistan, verliert in jener Nacht aber ihren Ehemann, der Vater ihres ungeborenen Kindes ist - wenige Tage, bevor sie zu ihm ziehen sollte. Wenig später kommt sie in der Schweiz an und muss sich ein Leben unter schwersten Bedingungen aufbauen. Mit Redaktor Yves Kilchör hat sie darüber gesprochen.

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RadioFr. - Yves Kilchör / Fabio Peter / iwi
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